Bremen, 19.08.2025 (fs) – Der aktuelle Stand des barrierefreien Tourismus in Deutschland ist zwar von einigen Fortschritten geprägt, doch er bleibt insgesamt unzureichend und oft frustrierend für Menschen mit Behinderungen sowie andere von Barrieren betroffene Gruppen. Es ist enttäuschend, dass trotz klarer gesetzlicher Vorgaben und internationaler Verpflichtungen in vielen Bereichen nur halbherzige Lösungen umgesetzt werden.
Eine kritische Betrachtung von Frank Schurgast.
Fortschritte und deren Grenzen
Die Bemühungen um barrierefreien Tourismus haben in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen, insbesondere in urbanen Zentren. Initiativen wie die Zertifizierung von barrierefreien Hotels oder Programmen in Städten, die “Smart Cities” entwickeln wollen, scheinen positive Ansätze zu sein. Dennoch bleibt die Realität oft weit hinter den Erwartungen zurück. Während es in großen Städten meist eine Vielzahl barrierefreier Angebote gibt, sieht die Situation in ruralen Regionen dramatisch anders aus. Viele ländliche Gebiete haben kaum die finanziellen Mittel oder den politischen Willen, in notwendige infrastrukturelle Anpassungen zu investieren. Hier zeigt sich eine eklatante Ungleichheit, die vertieft, dass nicht alle Menschen die Möglichkeit haben, selbstbestimmt zu reisen.
Fehlende Sensibilisierung und Schulung des Personals
Die unzureichende Sensibilisierung und Schulung von Fachkräften ist ein weiteres erhebliches Manko. Es ist beschämend, dass Mitarbeiter in vielen touristischen Einrichtungen oft nicht über das notwendige Wissen verfügen, um das spezifische Bedürfnis von Menschen mit Behinderungen zu verstehen. Diese Lücke führt nicht nur zu einer schlechten Kundenbetreuung, sondern auch zu einer Entwertung der Betroffenen als Kunden. Statt als Gäste mit Rechten und Bedürfnissen wahrgenommen zu werden, kommen sie oft als Belastung oder als Problem daher. Dies ist nicht nur ein Mangel an Professionalität, sondern auch ein Ausdruck von Ignoranz gegenüber einer großen Zielgruppe.
Mangelnde Zugänglichkeit von Informationen
Ein besonders ärgerlicher Aspekt ist die unzureichende Verfügbarkeit und Struktur von Informationen über barrierefreie Angebote. Während eine Vielzahl von Websites und Plattformen existiert, sind viele davon nicht benutzerfreundlich oder gar nicht auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ausgerichtet. Oft müssen Reisende unzählige Stunden in die Recherche investieren, nur um zu erfahren, ob eine Sehenswürdigkeit tatsächlich zugänglich ist. Diese Informationslücke ist nicht nur frustrierend, sondern schränkt die Reisefreiheit erheblich ein.
Im digitalen Zeitalter ist es unverständlich, warum die Tourismusbranche nicht in der Lage ist, eine zentrale, gut nutzbare Plattform anzubieten, auf der barrierefreie Informationen klar und verständlich bereitgestellt werden. Es ist eine Zumutung, dass betroffene Personen oft das Gefühl haben, “Umstände” zu machen, wenn sie einfach nur einen barrierefreien Zugang benötigen. Die Politik muss hier eine klarere Ansage machen und Tourismusanbieter zur Transparenz anhalten.
Unzureichende gesetzliche Rahmenbedingungen
Ein weiteres fundamentales Problem ist die ungenügende gesetzliche Umsetzung bereits bestehender Regelungen. Die in Deutschland geltenden Vorschriften zur Barrierefreiheit, wie die Allgemeine Gleichbehandlungsgesetze oder die UN-Behindertenrechtskonvention, werden oft nur als Minimalanforderung umgesetzt. In vielen Fällen haben Betroffene das Gefühl, dass die Gesetze mehr als Lippenbekenntnisse sind, ohne dass sie ernsthaft in die Praxis umgesetzt werden. Die Politik hat es versäumt, verbindliche Standards zu etablieren, die alle Beteiligten dazu verpflichten, Barrierefreiheit ernsthaft in den Fokus zu stellen.
Der Einfluss der Pandemie
Die COVID-19-Pandemie hat zwar einige digitalisierte Angebote vorangetrieben, jedoch hat sie auch gezeigt, wie fragil die gesamte Branche ist. Viele barrierefreie Initiativen wurden während der Pandemie zurückgeschraubt oder ganz eingestellt. Anstatt die Zeit zu nutzen, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln, wurde oft auf kurzfristige Sicherheiten gesetzt. Dies zeigt eine fehlende langfristige Vision, die notwendig wäre, um eine inklusivere Tourismuslandschaft zu schaffen.
Barrieren endlich abbauen
Insgesamt ist der barrierefreie Tourismus in Deutschland von Fakten geprägt, die zwar Fortschritte zeigen, gleichzeitig aber auf tief verwurzelte Probleme hinweisen. Die ungleiche Verteilung der barrierefreien Angebote zwischen städtischen und ländlichen Regionen, die unzureichende Sensibilisierung des Personals, die mangelhafte Informationsverfügbarkeit und die ungenügende rechtliche Grundlage sind alarmierend.
Es ist an der Zeit, dass wir nicht nur Fortschritte anerkennen, sondern auch die notwendigen Schritte fordern, um Barrieren endlich abzubauen. Menschen mit Behinderungen und besonderen Bedürfnissen haben ein Recht auf uneingeschränkten Zugang zu Kultur und Freizeit. Es liegt in der Verantwortung der politischen und wirtschaftlichen Akteure, dies ernst zu nehmen, echte Veränderungen voranzutreiben und eine inklusive, barrierefreie Tourismuslandschaft zu schaffen. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass Menschen aufgrund von Barrieren von der Teilhabe am Reisen ausgeschlossen werden.
Warum Portugal ein Leitbild für den deutschen Tourismus sein kann

Portugal hat in verschiedenen Bereichen des barrierefreien Tourismus Fortschritte gemacht, die Deutschland als Vorbild dienen können. Hier sind einige Aspekte, in denen Portugal möglicherweise besser aufgestellt ist:
Politische Priorität und Strategie
Nationale Förderprogramme
Portugal hat klare nationale Strategien entwickelt, um Barrierefreiheit im Tourismus zu fördern. Die Regierung hat spezifische Förderprogramme implementiert, die finanzielle Unterstützung für touristische Einrichtungen bieten, um Barrierefreiheitsstandards zu erfüllen. Diese politischen Rahmenbedingungen schaffen ein unterstützendes Umfeld für die Umsetzung von Inklusionsmaßnahmen.
Tourismusförderung
Das portugiesische Ministerium für Kultur und Tourismus hat Initiativen ins Leben gerufen, um den barrierefreien Tourismus aktiv zu bewerben. Dies wird durch Kampagnen unterstützt, die inklusiven Tourismus in den Fokus rücken und das Bewusstsein bei Reisenden schärfen.
Zugang zu Natur und Stränden
Barrierefreie Strände
Ein herausragendes Beispiel ist die extensive Arbeit Portugals, um seine Strände barrierefrei zu gestalten. Strände wie Praia da Rocha in Portimão oder Praia de Nazaré bieten Zugangseinrichtungen, darunter Rampen und spezielle Rollstühle, die im Wasser genutzt werden können. Dies ermöglicht es Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, die Strände und das Meer zu genießen, was in vielen anderen Ländern oft nicht der Fall ist.
Naturschutzgebiete
Darüber hinaus sind viele Naturschutzgebiete in Portugal mit barrierefreien Wanderwegen ausgestattet, die es Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen ermöglichen, die natürliche Schönheit des Landes zu erleben. Diese Initiativen zeigen ein starkes Engagement für die Zugänglichkeit in der Natur.
Öffentliche Verkehrsmittel
Verbesserungen im Transportnetz
In Städten wie Lissabon, Porto und Coimbra wurde das öffentliche Verkehrssystem erheblich verbessert, um barrierefreien Zugang zu gewährleisten. In Lissabon beispielsweise gibt es viele rollstuhlgerechte U-Bahn-Stationen und Busse, die mit Rampen und ausreichend Platz ausgestattet sind für Rollstühle und Mobilitätshilfen.
Fahrgastinformationen
Zusätzlich werden Informationen über barrierefreie Verkehrsmöglichkeiten klar und umfassend bereitgestellt. Dies erleichtert es Reisenden, sich im öffentlichen Verkehr sicher zu bewegen.
Sensibilisierung und Schulungsprogramme
Schulungen für das Personal
Portugal hat sich darauf konzentriert, spezielle Schulungsprogramme für das Personal in der Tourismusbranche zu entwickeln. Diese Schulungen umfassen Themen wie die Bedürfnisse von Reisenden mit Behinderungen, Kommunikationstechniken und Krisenmanagement, um den Gästen einen reibungslosen und respektvollen Service zu bieten.
Sensibilisierungskampagnen
Zusätzlich werden Sensibilisierungskampagnen genutzt, um das Bewusstsein der Bevölkerung für Behinderungen zu erhöhen. Diese Kampagnen fördern eine positive Sichtweise und ermutigen, Barrieren aktiv abzubauen.
Innovative Ansätze
Inklusive Veranstaltungen und Festivals
Portugal hat zahlreiche Festivals und kulturelle Veranstaltungen, die speziell für Menschen mit Behinderungen konzipiert sind. Diese Veranstaltungen nutzen kreative Formate, um kulturelle Erlebnisse für alle zugänglich zu machen. Beispiele sind barrierefreie Konzerte oder Theateraufführungen, bei denen Gebärdensprachdolmetscher engagiert werden.
Digitale Innovation
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist die Nutzung digitaler Technologien zur Verbesserung des barrierefreien Zugangs. Mobilitäts-Apps und Webseiten bieten Informationen über barrierefreie Einrichtungen in Echtzeit, was den Reisenden hilft, informierte Entscheidungen zu treffen.
Partizipation
Integration von Perspektiven
Portugal hat die Stimmen von Menschen mit Behinderungen in die Planung von touristischen Projekten zunehmend integriert. Durch Beteiligungsprojekte und Workshops können Betroffene ihre Bedürfnisse und Erfahrungen direkt einbringen. Dies gewährleistet, dass Lösungen praxisnahe und relevant sind.
Feedback-Mechanismen
Ein System zur kontinuierlichen Rückmeldung von Reisenden ermöglicht es, die Erfahrungen von Menschen mit Behinderungen zu erfassen und zu analysieren. Dies unterstützt eine ständige Weiterentwicklung der Angebote und Dienstleistungen.
Zentralisierte Informationen
Sammeln von Daten
Portugal hat zentrale Initiativen entwickelt, um Informationen über barrierefreie Angebote zusammenzuführen. Beispielsweise gibt es spezialisierte Websites, die umfassende Informationen zu barrierefreien Sehenswürdigkeiten, Unterkünften und Verkehrsanbindungen bereitstellen.
Benutzerfreundlichkeit
Die Plattformen sind oft benutzerfreundlich gestaltet und bieten klare Suchfilter, sodass Reisende schnell die benötigten Informationen finden können.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Portugal in vielen Aspekten des barrierefreien Tourismus als Modell für andere Nationen dienen kann. Die gezielte politische Unterstützung, die Investitionen in die Infrastruktur, die Schulung des Personals, die kreative Einbeziehung der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen und die Bereitstellung zentralisierter Informationen sind allesamt Elemente, die Portugal vorantreiben.
Im Vergleich zu Deutschland, wo es oft an einer konzertierten Strategie und an Durchsetzungskraft fehlt, ist das Beispiel Portugal ein Aufruf zur Handlung. Deutschland könnte profitieren, indem es von den erfolgreichen Ansätzen Portugals lernt, um die Barrierefreiheit im eigenen Tourismussektor entscheidend zu verbessern. Diese Vergleichbarkeit zeigt, dass es nicht nur um gute Absichten geht, sondern um praktische Umsetzungen, die echte Veränderungen bewirken.

