Bremen, 21.10.2024 (fs) – Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen einer neu entstandenen Behinderung unwirksam ist, auch wenn die Probezeit noch läuft. Die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie ist auch während der Probezeit anwendbar. Arbeitgeber müssen betroffenen Arbeitnehmern eine andere, geeignete Stelle im Unternehmen anbieten. Dies darf jedoch keine unverhältnismäßige Belastung für sie darstellen.
Über diesen Fall wurde entschieden
Ein Mann, der bei der belgischen Bahn beschäftigt war, klagte. Der Facharbeiter war für die Wartung und Instandhaltung der Schienenwege zuständig und noch in der Probezeit, als er einen Herzschrittmacher erhielt. Dieses Gerät reagiert sensibel auf die elektromagnetischen Felder in Gleisanlagen, sodass der Mann danach nicht mehr in seiner ursprünglichen Funktion beschäftigt werden konnte. Aufgrund dieser Einschränkung wurde ihm außerdem eine Schwerbehinderung attestiert. Die belgische Bahn kündigte ihm noch während der Probezeit.
Grundsätzlich beginnt jedes Arbeitsverhältnis mit einer Probezeit. Diese müssen Arbeitnehmer zuerst erfolgreich ableisten, bevor längere Kündigungsfristen und ein erweiterter Kündigungsschutz greifen. Dies gilt auch für Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung, die erst nach der Probezeit einen besonderen Kündigungsschutz genießen.
Der gekündigte Arbeitnehmer wehrte sich vor einem belgischen Arbeitsgericht mit der Begründung, er sei wegen seiner Behinderung diskriminiert worden. Er argumentierte, dass seine Kündigung gegen die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG) verstoße. Artikel 5 dieser Richtlinie verlangt, dass Arbeitgeber „angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen“ treffen müssen. Das belgische Gericht legte die Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung vor.
Der EuGH stellte klar, dass die Richtlinie auch während der Probezeit gilt. Arbeitgeber sind verpflichtet, Menschen mit Behinderungen angemessene Maßnahmen zu bieten, um ihnen die Weiterbeschäftigung zu ermöglichen. Dies umfasst insbesondere die Verpflichtung, eine geeignete Stelle innerhalb des Unternehmens anzubieten. Eine unverhältnismäßige Belastung für den Arbeitgeber darf dabei jedoch nicht entstehen. Eine Kündigung allein aufgrund einer Behinderung, ohne vorherige Prüfung und Umsetzung angemessener Vorkehrungen, ist als diskriminierend anzusehen und somit unwirksam.
Das Urteil
Der EuGH entschied, dass die Kündigung von Arbeitnehmern mit Schwerbehinderung während der Probezeit nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist.
Der Begriff „angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“ bedeutet, dass ein Arbeitnehmer, der aufgrund seiner Behinderung nicht mehr für seinen bisherigen Arbeitsplatz geeignet ist, auf einer anderen freien Stelle eingesetzt werden muss, für die er die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweist. Dies gilt auch während der Probezeit.
Diese Maßnahmen muss der Arbeitgeber nur ergreifen, wenn er dadurch nicht unverhältnismäßig belastet wird. Maßgebliche Kriterien sind hierbei der finanzielle Aufwand sowie die Größe, die finanziellen Ressourcen und der Gesamtumsatz des Unternehmens. Auch die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten spielt eine Rolle. Zudem muss es im Betrieb zumindest eine freie Stelle geben, die der Betroffene einnehmen kann.