Unsere INKLUSIVE Meinung
Eine Kolumne von Frank Schurgast und Julia Maiano
Die Überprüfung der Staaten durch die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist ein zentraler Vorgang. Er misst, wie ein Land die Rechte behinderter Menschen umsetzt. Diese Überprüfung bietet Deutschland eine wichtige Chance. Es kann Fortschritte überdenken und Verbesserungsbedarf erkennen.
Im Oktober 2023 veröffentlichte der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen seine abschließenden Bemerkungen zu Deutschland. Diese enthielten zahlreiche Empfehlungen und Forderungen, wie Deutschland die UN-BRK in den kommenden Jahren umsetzen sollte. Die Prüfung folgte einem mehrjährigen und mehrstufigen Verfahren, an dem verschiedene Akteure, einschließlich der Bundesregierung, Zivilgesellschaft und Monitoring-Stellen, beteiligt waren.
Die abschließenden Bemerkungen des Ausschusses von 2023 ergänzen die ersten Bemerkungen von 2015 und bleiben weiterhin relevant. Deutschlands anhaltendes Engagement, die Konvention zu befolgen, manifestiert sich in der aktiven Unterstützung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Dies umfasst alle Bereiche des Lebens. Die Bemühungen zielen darauf ab, Chancengleichheit zu gewährleisten und Barrieren abzubauen. So wird ein integratives Umfeld geschaffen, das Vielfalt und Teilhabe fördert. Eine deutsche Übersetzung der ursprünglich auf Englisch herausgegebenen Anmerkungen ist in Arbeit. Diese Übersetzung entsteht in Abstimmung zwischen der Bundesregierung, Vertretern der Zivilgesellschaft und dem Deutschen Institut für Menschenrechte. Die Veröffentlichung ist für den Zeitraum Juni bis Juli 2024 geplant.
Sicherstellung der politischen und sozialen Partizipation
Die Staatenprüfung hebt hervor, dass politisches Engagement für Inklusion und Partizipation von entscheidender Bedeutung ist. Die Empfehlungen des UN-Fachausschusses betonen die Notwendigkeit, Barrieren abzubauen und gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft zu gewährleisten. Dies beinhaltet die Verbesserung der Zugänglichkeit, die Förderung von Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie die Sicherstellung der politischen und sozialen Partizipation.
Die Überprüfung Deutschlands im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention offenbart politische Defizite. Diese betreffen die Inklusion und die Teilhabe behinderter Menschen. Es zeigt, dass trotz der Bemühungen und Fortschritte noch erhebliche Herausforderungen bestehen, die angegangen werden müssen. Die Staatenprüfung dient als ein Weckruf für die Notwendigkeit, konkrete Maßnahmen zu ergreifen und die Rechte von Menschen mit Behinderungen vollständig zu verwirklichen.
Die Umsetzung der UN-BRK ist nicht nur eine rechtliche Verpflichtung, sondern auch ein moralischer Imperativ, der die Werte von Gleichheit, Würde und Respekt für alle Menschen widerspiegelt. Deutschland steht vor der Aufgabe, die Empfehlungen des UN-Fachausschusses ernst zu nehmen und in praktische Politik umzusetzen, die das Leben von Menschen mit Behinderungen verbessert und ihnen ermöglicht, als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft zu leben und zu wirken.
Die Staatenprüfung zur UN-BRK ist somit mehr als eine formelle Bewertung; sie ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen und ein Maßstab für den Fortschritt in Richtung einer inklusiveren und partizipativen Gesellschaft.
Lücken sind nicht über Nacht entstanden
Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland ist ein Thema, das über die Grenzen einer einzelnen Regierung hinausgeht und eine fortlaufende Herausforderung für aufeinanderfolgende Bundesregierungen darstellt. Die Staatenprüfung zur UN-BRK, die Deutschland als peinlich empfindet, ist nicht nur ein Spiegelbild der aktuellen politischen Landschaft, sondern auch ein Zeugnis der Versäumnisse früherer Regierungen.
Seit der Ratifizierung der UN-BRK im Jahr 2009 hat Deutschland sich verpflichtet, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu schützen und zu fördern. Trotzdem zeigen die Ergebnisse der Staatenprüfung, dass es noch immer signifikante Lücken in der Inklusion und Partizipation gibt. Diese Lücken sind nicht über Nacht entstanden, sondern sind das Ergebnis langjähriger politischer Prozesse und Entscheidungen.
Die Herausforderungen bei der Umsetzung der UN-BRK sind vielschichtig und komplex. Sie reichen von der Bereitstellung barrierefreier Infrastrukturen bis hin zur Gewährleistung gleichberechtigter Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Die Kritik, die im Rahmen der Staatenprüfung geäußert wurde, unterstreicht die Notwendigkeit, dass Deutschland seine Anstrengungen verstärkt, um eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben können.
Verantwortung liegt nicht nur bei der aktuellen Bundesregierung
Die Verantwortung für die Umsetzung der UN-BRK liegt nicht nur bei der aktuellen Bundesregierung, sondern auch bei den lokalen und regionalen Behörden sowie bei der Zivilgesellschaft. Es ist eine gemeinsame Aufgabe, die ein koordiniertes Vorgehen und Engagement aller Beteiligten erfordert. Die Empfehlungen des UN-Fachausschusses bieten dabei eine Richtschnur für die notwendigen Maßnahmen und Reformen.
Es ist wichtig, dass die politischen Akteure aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen und einen konstruktiven Dialog mit Menschen mit Behinderungen und ihren Vertretungen führen. Nur durch eine solche Zusammenarbeit können die Herausforderungen bewältigt und die Ziele der UN-BRK erreicht werden.
Die Staatenprüfung zur UN-BRK sollte daher als Chance gesehen werden, um über Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten und eine inklusive Politik zu gestalten, die die Rechte und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen in den Mittelpunkt stellt. Dies erfordert Mut, Entschlossenheit und eine langfristige Vision, die über die Amtszeit einer einzelnen Regierung hinausgeht.
Inklusion und Partizipation sind nicht nur rechtliche Verpflichtungen, sondern auch ethische Imperative, die das Fundament einer demokratischen und gerechten Gesellschaft bilden. Deutschland steht vor der Aufgabe, diese Imperative in die Tat umzusetzen und eine Zukunft zu gestalten, in der niemand zurückgelassen wird.
Bewegt sich Deutschland wieder auf eine Exklusion zu?
Die Frage, ob sich Deutschland auf eine Exklusion zubewegt, ist von großer Bedeutung, da sie die Grundwerte einer demokratischen und inklusiven Gesellschaft berührt.
Aktuelle Entwicklungen in Deutschland zeigen ein gemischtes Bild. Einerseits gibt es Fortschritte in der Inklusion, wie die zunehmende Anzahl von Kindern mit Förderbedarf, die in regulären Schulen unterrichtet werden. Andererseits gibt es auch Anzeichen dafür, dass die Exklusionsquoten in einigen Bereichen stagnieren oder sogar ansteigen. Dies deutet darauf hin, dass trotz der Bemühungen, Inklusion zu fördern, noch immer Herausforderungen bestehen.
Ein Bereich, der besondere Aufmerksamkeit erfordert, ist das Bildungssystem. Bildung ist ein Schlüsselbereich für Inklusion, da sie die Grundlage für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben legt. Die Bundeszentrale für politische Bildung weist darauf hin, dass Inklusion in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern, die ebenfalls die UN-BRK unterzeichnet haben, noch immer umstritten ist. Es gibt strittige Punkte, wie die Beibehaltung von Förderschulen, die als Sonderbeschulung angesehen werden können und somit potenziell exkludierend wirken.
Auch eine Frage gesellschaftlicher Verantwortung
Die Statistiken zur schulischen Förderquote, Exklusionsquote und Inklusionsquote bis 2022 zeigen, dass die Förderquote in Deutschland bei 7,8 Prozent liegt, während die Exklusionsquote bei 4,3 Prozent und die Inklusionsquote bei 3,5 Prozent liegt. Diese Zahlen verdeutlichen, dass es noch einen langen Weg zur vollständigen Inklusion gibt. (Kennzahlen zur sozialen Inklusion an Schulen von Statista)
Es ist wichtig zu betonen, dass Inklusion und Exklusion nicht nur von politischen Entscheidungen abhängen, sondern auch von der Haltung der Gesellschaft. Inklusion erfordert ein Umdenken und die aktive Beteiligung aller gesellschaftlichen Akteure. Die Empfehlungen des UN-Fachausschusses bieten eine Richtschnur für die notwendigen Maßnahmen und Reformen, um Inklusion zu fördern und Exklusion entgegenzuwirken.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Frage, ob sich Deutschland auf eine Exklusion zubewegt, nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Es gibt sowohl positive Entwicklungen als auch Bereiche, in denen Handlungsbedarf besteht. Die Staatenprüfung zur UN-BRK bietet eine Gelegenheit, diese Bereiche zu identifizieren und anzugehen. Es ist die gemeinsame Verantwortung von Regierung, Zivilgesellschaft und jedem Einzelnen, sich für eine inklusive Gesellschaft einzusetzen, in der niemand ausgeschlossen wird.
Konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Inklusion in Deutschland
Inklusion ist ein fundamentales Menschenrecht und eine gesellschaftliche Aufgabe, die in Deutschland durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verankert ist. Um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu stärken, sind konkrete Maßnahmen erforderlich, die auf verschiedenen Ebenen ansetzen und alle Bereiche des Lebens umfassen.
Schlüsselmaßnahmen
- Bildung: Die Schaffung eines inklusiven Bildungssystems ist entscheidend. Dies beinhaltet die Integration von Kindern mit Behinderungen in reguläre Schulen, die Bereitstellung individueller Unterstützung und die Anpassung von Lehrplänen, um allen Schülern gerecht zu werden. Weiterbildungen für Lehrkräfte zum Thema Inklusion sind ebenfalls wichtig, um Bewusstsein zu schaffen und Kompetenzen zu stärken.
- Barrierefreiheit: Die Förderung von Barrierefreiheit in öffentlichen Einrichtungen, Verkehrsmitteln und im digitalen Raum ist eine Grundvoraussetzung für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Dies umfasst auch den Abbau von Barrieren in der gebauten Umwelt und die Bereitstellung von Informationen in leichter Sprache und Gebärdensprache.
- Arbeitsmarkt: Die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen durch die Sensibilisierung von Arbeitgebern, die Förderung der beruflichen Orientierung und die Unterstützung bei der Vermittlung in Ausbildung und Beschäftigung sind wesentlich. Eingliederungshilfen und Kostenübernahmen können hierbei unterstützend wirken.
- Politische Partizipation: Die Sicherstellung der politischen und sozialen Partizipation von Menschen mit Behinderungen ist ein weiterer wichtiger Schritt. Dies beinhaltet die Gewährleistung des Wahlrechts für alle und die aktive Einbeziehung in politische Entscheidungsprozesse.
Anpassung von Gesetzen und Richtlinien sind grundlegend
- Öffentlichkeitsarbeit: Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Rechte und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ist unerlässlich. Kampagnen, die auf die Fähigkeiten und Beiträge von Menschen mit Behinderungen aufmerksam machen, können Vorurteile abbauen und zu einer inklusiveren Gesellschaft beitragen.
- Rechtliche Rahmenbedingungen: Die Anpassung von Gesetzen und Richtlinien, um Diskriminierung zu verhindern und Inklusion zu fördern, ist grundlegend. Dies schließt die Umsetzung der Empfehlungen des UN-Fachausschusses ein und erfordert eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen.
- Forschung und Entwicklung: Die Förderung von Forschung im Bereich Inklusion kann dazu beitragen, effektive Strategien und Praktiken zu identifizieren und weiterzuentwickeln. Dies schließt die Evaluation bestehender Maßnahmen und die Entwicklung neuer Ansätze ein.
- Zusammenarbeit: Die Zusammenarbeit zwischen Regierung, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Menschen mit Behinderungen ist für die Umsetzung von Inklusionsmaßnahmen entscheidend. Ein koordiniertes Vorgehen und der Austausch von Best Practices können die Effektivität der Maßnahmen erhöhen.
Diese Maßnahmen sind nicht erschöpfend, aber sie bieten einen Rahmen für die Stärkung der Inklusion in Deutschland. Es ist wichtig, dass diese Maßnahmen nicht isoliert betrachtet werden, sondern als Teil einer umfassenden Strategie, die auf die Schaffung einer Gesellschaft abzielt, in der jeder Mensch gleichberechtigt teilhaben kann. Die Umsetzung der UN-BRK ist eine fortlaufende Aufgabe, die Engagement und Entschlossenheit erfordert, um eine inklusive Zukunft für alle zu gestalten.