Bremen, 19.09.2024 (fs) – Die Integration von Pferden in psychotherapeutische Behandlungen stellt keine Innovation im Bereich der Therapiemethoden dar, vielmehr repräsentiert sie eine Erweiterung und Bereicherung des therapeutischen Umfelds. Eine qualitative Studie aus dem Jahr 2019, die sich mit den spezifischen Wirkfaktoren der analytischen und tiefenpsychologisch fundierten pferdegestützten Psychotherapie auseinandersetzt, liefert hierzu aufschlussreiche Erkenntnisse. In dieser Studie wurden 22 semistrukturierte Interviews mit sechs Therapeutinnen und 16 Patientinnen geführt, die ihre Therapien bereits vollständig oder größtenteils abgeschlossen hatten.
Der Schwerpunkt dieser Gespräche lag auf den individuellen und subjektiven Erfahrungen, die die Beteiligten mit der in das Praxissetting integrierten Arbeit mit Pferden gemacht haben. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Einbindung von Pferden in den therapeutischen Prozess katalytische Effekte haben kann, die den Heilungsverlauf positiv beeinflussen. Es wird ersichtlich, dass Pferde als lebendige Medien innerhalb eines etablierten psychotherapeutischen Richtlinienverfahrens fungieren können, ohne dass dabei die grundlegenden Prinzipien der tiefenpsychologisch-analytischen Praxis vernachlässigt werden.
Diese Erkenntnisse unterstreichen die Bedeutung der Erweiterung traditioneller therapeutischer Settings um zusätzliche, innovative Elemente, die das Potenzial haben, den therapeutischen Prozess zu bereichern und die Heilungschancen der Patienten zu verbessern. Die Studie betont die Relevanz der persönlichen Interaktion zwischen Patient und Pferd und wie diese die therapeutische Beziehung vertiefen und den Weg zur Genesung unterstützen kann. Somit bietet die pferdegestützte Psychotherapie eine wertvolle Ergänzung zu den bestehenden therapeutischen Ansätzen und eröffnet neue Perspektiven für die Behandlung psychischer Erkrankungen.
Voraussetzung: Hippologische Qualifikationen
In der vorliegenden Studie waren die Therapeutinnen, die an der Untersuchung teilnahmen, in ihrer eigenen Praxis tätig. Sie besaßen eine kassenärztliche Zulassung und waren spezialisiert auf tiefenpsychologisch fundierte oder analytische Psychotherapie, einschließlich der Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Zusätzlich verfügten sie über hippologische Zusatzqualifikationen, die den Richtlinien des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten entsprachen. Die Patientinnen, die zu Therapiebeginn interviewt wurden, litten hauptsächlich an Traumafolgestörungen. Diese waren in einigen Fällen mit weiteren psychischen Problemen verbunden, wie emotionalen Störungen im Kindesalter, Angststörungen, Anorexie, Zwangsstörungen und Depressionen.
Die Analyse der transkribierten Interviews führte zur Identifikation zentraler Themen. Bei deren Diskussion wurde bewusst die Perspektive sowohl der Therapeutinnen als auch der Patientinnen berücksichtigt. Die Aussagen beider Parteien konzentrierten sich auf fünf Hauptindikationen für die Einbeziehung von Pferden in die Therapie, jeweils mit spezifischen Wirkfaktoren.
Ein wesentlicher Aspekt, den zwölf der sechzehn Patientinnen als Grund für die Integration von Pferden in ihre Behandlung nannten, war die Schwierigkeit, ihre Ängste, das Gefühl der Überforderung und ihre Widerstände gegenüber einer Therapeutin direkt verbal auszudrücken. Zehn Patientinnen berichteten, dass vorherige Therapieansätze, die ausschließlich auf Sprache basierten, ihnen nicht geholfen hatten.
Pferde verständigen sich körpersprachlich.
Pferde kommunizieren primär durch Körpersprache, eine Form der Verständigung, die ohne umfangreiche verbale Erklärungen auskommt. Trotzdem findet ein tieferes Verständnis statt, bei dem die Therapeutin die Interaktion mit dem Pferd sorgsam beobachtet, unterstützt und schützt. Sie kann die Situation kommentieren, gegebenenfalls die Interaktion anregen und das Geschehen für den Patienten in Worte fassen.
Die therapeutische Arbeit mit Pferden repräsentiert ein modellhaftes Verhalten und eine von der Therapeutin begleitete Erfahrung. Dies geschieht in einem sicheren Zwischenraum, der zwischen der klinischen Praxis und der realen Welt des Patienten angesiedelt ist. In dieser Umgebung können Patienten neue oder bisher unbekannte innere Stärken erkennen. Gleichzeitig treten oft bestehende Verhaltensmuster, negative Selbstwahrnehmungen und andere hinderliche Überzeugungen schnell zutage, werden aktualisiert und sind dann einer therapeutischen Aufarbeitung zugänglich.
Der Terminus „Übergangsraum“ in diesem Zusammenhang ist nicht gleichzusetzen mit Donald W. Winnicotts Konzept des „intermediären Raums“, obwohl eine Verwandtschaft besteht. Patient und Therapeut verlassen das Behandlungszimmer und betreten gemeinsam eine äußere Welt – nicht die des Patienten, sondern die des Pferdes: seinen Stall, seinen Lebensraum. Innerhalb dieses Übergangsraumes dürfen und sollen sich die intrapsychischen Themen der Patienten entfalten und formen – und das in einer realen Umgebung, jedoch noch immer unter dem Schutz der therapeutischen Beziehung. Das Pferd ist in dieser therapeutischen Situation nicht nur ein reales Lebewesen mit seinen spezifischen Eigenschaften und Verhaltensweisen, sondern dient zusammen mit der Therapeutin auch als Projektionsfläche für eine Vielzahl von Übertragungen, ähnlich wie ein Übergangsobjekt, das von Kleinkindern belebt wird.
Gefühle und Bedürfnisse in der Projektion auf das Pferd zum Ausdruck zu bringen
Emotionen, die eine Patientin dem Pferd entgegenbringt, spiegeln oft die Beziehung zur Therapeutin wider. Letztere ist möglicherweise nicht so präsent, wie die Patientin es sich erhofft. Es mag der Patientin leichter fallen, ihre Gefühle und Bedürfnisse auf das Tier zu projizieren. Die Verbindung zwischen Patientin und Pferd schwebt zwischen Wirklichkeit und Imagination. So können tief verwurzelte Vorstellungen von emotionaler Sicherheit auf das Pferd übertragen werden.
Das Einbeziehen des Pferdes als ein lebendiges Wesen in den therapeutischen Raum öffnet neue Wege. Es beeinflusst die therapeutische Beziehung maßgeblich oder ermöglicht diese erst. Für einige Patientinnen wird das Pferd zur verbindenden Kraft in der Therapie. Die unbelastete Beziehung zum Pferd, frei von komplexen menschlichen Beziehungsdynamiken, wird als wohltuend empfunden.
Die sanfte Bewegung des Pferdes beim Schreiten, oft verbunden mit einer Angleichung der Atem- oder Herzfrequenz, ruft fundamentale körperliche Erinnerungen wach. Diese reichen bis zu den allerersten Erfahrungen des Getragenwerdens zurück, einschließlich der Zeit im Mutterleib.
Das körperliche Bewegtwerden bewegt uns auch innerlich
Pferde beeinflussen den Menschen auf vielfältige Weise. Die physische Bewegung, die durch das Reiten ausgelöst wird, kann tiefgreifende emotionale Reaktionen hervorrufen. Diese reichen von der Freisetzung von Emotionen bis hin zu körperlichen Reaktionen wie Tränen. Zärtliche Berührungen können Vertrauen fördern, während grobe Behandlung Angst auslösen kann. Bei schweren Traumata kann dies sogar zu einer Dissoziation führen. Die psychosomatische Entspannung, die durch den Umgang mit Pferden entsteht, kann das Vertrauen in die eigene Fähigkeit stärken, auch schwierige Emotionen zu regulieren. Dies erleichtert die Aufarbeitung emotional belastender Situationen, wie beispielsweise traumatische Erlebnisse.
Therapeuten nutzen das Reiten oft als Mittel zur Traumabearbeitung. Es scheint, dass die Synchronisation mit dem Pferd nicht nur zu einer emotionalen Harmonisierung führt, sondern auch die Beziehung zur eigenen Innenwelt verbessert. Die emotionale Verbindung zu einem anderen Lebewesen, insbesondere in Verbindung mit physischer Berührung, kann den Zugang zu lange unterdrückten oder unbewussten Emotionen erleichtern. Die tiefe Verbundenheit zwischen Pferd und Mensch wird oft als besonders und fast mystisch beschrieben. Obwohl die Resonanzphänomene der Pferde deutlich sichtbar sind, bleiben sie doch schwer quantifizierbar.
Participation mystique
C.G. Jung prägte den Ausdruck „Participation mystique“ für die Verbindung, die Analysepartner auf der Ebene des Unbewussten erleben. Diese Verbindung, die in der Ethnologie als „mystische Teilhabe“ bekannt ist, umschreibt eine tiefe seelische Verknüpfung. Persönliche Erfahrungen und vielfältige Berichte von Therapiepartnern, die für diese Untersuchung befragt wurden, deuten darauf hin, dass auch Pferde in therapeutischen Kontexten instinktiv mit dem Unbewussten der Menschen, mit denen sie interagieren, verbunden sein können. Es scheint, als ob die intuitive Wahrnehmung der Pferde in solchen Momenten eine Brücke zum menschlichen Unbewussten schlägt.
Diese Verbindung könnte eine Erklärung für die therapeutische Wirksamkeit bieten, die Pferde in der Behandlung von psychischen Leiden zeigen. Die Theorie der „mystischen Teilhabe“ bietet somit einen faszinierenden Einblick in die möglichen unbewussten Dynamiken zwischen Mensch und Tier. Sie eröffnet neue Perspektiven für das Verständnis der komplexen Interaktionen, die in der tiergestützten Therapie stattfinden. Darüber hinaus könnte sie dazu beitragen, die Mechanismen zu erhellen, die der heilenden Wirkung von Tieren zugrunde liegen. Insgesamt bietet die Idee der „Participation mystique“ einen wertvollen theoretischen Rahmen für die Erforschung der tiefen und oft unergründlichen Verbindungen, die unsere seelische Gesundheit beeinflussen können. Sie lädt dazu ein, die Rolle der Instinkte und des Unbewussten in der therapeutischen Praxis neu zu bewerten. Die Erkenntnisse aus dieser Betrachtungsweise könnten letztlich dazu beitragen, die Effektivität von Therapien zu verbessern, in denen Tiere eine zentrale Rolle spielen.
Empathie nutzt Areale des Hirns, welche mehr als hundert Millionen Jahre alt sind
Schlegel erörtert die Entwicklung empathischer Kompetenzen, beginnend mit der körperlichen Synchronisation. Er stützt sich dabei hauptsächlich auf den Ethologen Frans de Waal. „Ich denke, dass die Empathie zu einem Erbe gehört, das so alt wie die Abstammungslinie der Säugetiere ist. Die Empathie nutzt Hirnareale, die mehr als hundert Millionen Jahre alt sind. Die Fähigkeit entstand vor langer Zeit mit motorischer Nachahmung und Gefühlsansteckung, woraufhin die Evolution Schicht um Schicht hinzufügte, bis unsere Vorfahren nicht nur fühlten, was andere fühlten, sondern auch verstanden, was sie möglicherweise wünschten oder brauchten.“
Motorische Imitation, als Synchronismus manifestiert, formt Schwärme von Fischen und Vögeln sowie Herdenverhalten. Sie stellt die grundlegendste Koordinationsform dar und bildet das Fundament sozialen Verhaltens. Ursprünglich bei Primaten entdeckte Spiegelneuronen bilden die biologische Grundlage für diesen Synchronismus. Synchronisation allein ist jedoch nicht mit Emotionen verbunden. Emotionen werden erst in der darauffolgenden Phase der emotionalen Ansteckung übermittelt. Darauf aufbauend entwickelt sich die Fähigkeit zur emotionalen Perspektivübernahme. Schließlich folgt das Mentalisieren, welches die selbstreflektierende Bewusstwerdung des eigenen psychischen Zustands ermöglicht.
Im therapeutischen Rahmen begegnen wir häufig Gefühlen, die von Patienten unbewusst unterdrückt und abgespalten wurden. Diese Gefühle sind, im Gegensatz zu offen gezeigten Emotionen, nicht direkt erkennbar. Dennoch werden sie von einer Therapeutin idealerweise im Rahmen der Gegenübertragung wahrgenommen. Wenn das intersubjektive Feld der Dyade aus Patient und Therapeut um ein Pferd erweitert wird, bringt dies eine spezifische, möglicherweise feinere Wahrnehmung im Bereich der analogen Kommunikation mit sich. Dadurch erhält die Therapeutin zusätzlich zu ihrer eigenen Gegenübertragung eine weitere Ebene der Wahrnehmung.
Einbeziehung der Pferde in die Therapien hat katalytischen Wirkungen
Die vorliegende Untersuchung offenbarte, dass die Integration von Pferden in therapeutische Sitzungen signifikante katalytische Effekte auf die Heilungsprozesse der teilnehmenden Individuen hatte. Um die Güte der Therapie mit Pferdeunterstützung zu gewährleisten, ist es unabdingbar, Fortbildungen anzubieten. Diese sollten darauf abzielen, das Einfühlungsvermögen der Therapeuten für die Pferde zu schärfen. Es ist ratsam, Therapeuten zu bestärken, ihre Erfahrungen mit Pferden in ihre therapeutischen Methoden einzubinden.
Die steigende Nachfrage nach Therapien mit Pferden, insbesondere bei Personen mit Traumafolgestörungen, unterstreicht die Notwendigkeit weiterführender Forschung. Detaillierte Beobachtungsmethoden sind erforderlich, um die komplexen nonverbalen Interaktionen zwischen Patienten, Pferden und Therapeuten zu verstehen. Die videobasierte Forschung der 80er-Jahre hat die Entwicklungspsychologie revolutioniert, indem sie die präverbalen Fähigkeiten von Säuglingen aufdeckte. Eine kontinuierliche Video-Dokumentation könnte die positiven Effekte der Pferdetherapie, die in dieser Pilotstudie beobachtet wurden, verifizieren. Die subjektiven Perspektiven der Therapiebeteiligten könnten so durch objektive Daten ergänzt werden. Dies würde weitere Einblicke in die empathischen Fähigkeiten von Pferden und ihre tiefgreifenden heilenden Effekte auf die Psyche der Patienten ermöglichen.