Bremen, 28.08.2024 (fs) – Weltweit sind über 430 Millionen Menschen, darunter 34 Millionen Kinder, von einem behindernden Hörverlust betroffen, der rehabilitative Maßnahmen erfordert. Prognosen deuten darauf hin, dass bis zum Jahr 2050 potenziell jeder zehnte Mensch, also mehr als 700 Millionen Individuen, einen solchen Hörverlust erleiden könnte. Ein behindernder Hörverlust, definiert als ein Verlust von über 35 Dezibel auf dem besser hörenden Ohr, betrifft vorrangig Personen in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen – hier leben etwa 80 % der Betroffenen. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit für Hörverlust; bei Personen über 60 Jahren leidet bereits mehr als ein Viertel unter dieser Beeinträchtigung.
Hörverlust kann in verschiedenen Graden auftreten, von leicht bis hochgradig, und sowohl ein als auch beide Ohren betreffen. Dies führt oft zu Schwierigkeiten, Gespräche zu verfolgen oder laute Geräusche wahrzunehmen. Schwerhörigkeit, die von leicht bis schwer reichen kann, ermöglicht es den Betroffenen meist, durch gesprochene Sprache zu kommunizieren. Sie können von technischen Hilfsmitteln wie Hörgeräten oder Cochlea-Implantaten profitieren, ebenso wie von Untertiteln, die die Kommunikation erleichtern.
Personen mit hochgradigem Hörverlust, oft als Gehörlosigkeit bezeichnet, vernehmen nur minimale bis keine akustischen Signale. Sie nutzen in der Regel Gebärdensprache als primäres Kommunikationsmittel. Die Integration von Gebärdensprache und die Bereitstellung entsprechender Bildungs- und Unterstützungsangebote sind daher essenziell.
Die Ursachen
Verschiedene Faktoren beeinflussen die Hörfähigkeit während der gesamten Lebensspanne. In der pränatalen Phase können genetische Dispositionen, sowohl erbliche als auch nicht-erbliche Formen des Hörverlusts, eine Rolle spielen. Zudem stellen intrauterine Infektionen, wie Röteln und Zytomegalievirus, Risiken dar. Während der perinatalen Periode können Geburtsasphyxie, also ein Sauerstoffmangel bei der Geburt, und Hyperbilirubinämie, eine schwere Form der Neugeborenen-Gelbsucht, das Gehör beeinträchtigen. Auch ein niedriges Geburtsgewicht sowie andere perinatale Morbiditäten und deren Behandlungen können langfristige Auswirkungen haben.
In der Kindheit und Jugend sind es häufig chronische Mittelohrentzündungen, sowohl die eitrige als auch die nicht-eitrige Form, sowie Meningitis und andere Infektionen, die das Hörvermögen beeinflussen. Im Erwachsenenalter und im höheren Alter können chronische Krankheiten, Rauchgewohnheiten, Otosklerose, altersbedingte sensorineurale Degeneration und plötzlicher sensorineuraler Hörverlust zu Hörproblemen führen. Über die gesamte Lebensspanne hinweg können Cerumenobstruktion, also verstopftes Ohrenschmalz, Traumata des Ohrs oder des Kopfes, laute Geräusche oder Töne, ototoxische Medikamente und Chemikalien am Arbeitsplatz, Nährstoffmangel, Virusinfektionen und verzögert einsetzender oder fortschreitender genetischer Hörverlust das Gehör beeinträchtigen. Diese Informationen sind entscheidend, um präventive Maßnahmen zu ergreifen und Behandlungsstrategien zu entwickeln, die auf die jeweilige Lebensphase abgestimmt sind.
Die Auswirkungen von Nichtbehandlungen
Unbehandelter Hörverlust stellt ein signifikantes globales Gesundheitsproblem dar, das weitreichende Konsequenzen für Individuen und Gesellschaften hat. Die Beeinträchtigung der Kommunikationsfähigkeit und Sprachentwicklung sind nur einige der direkten Folgen. Kognitive Fähigkeiten können ebenfalls beeinträchtigt werden, was zu Herausforderungen im Bildungsbereich und bei der beruflichen Entwicklung führt.
Soziale Isolation, Einsamkeit und Stigmatisierung sind oft die psychosozialen Begleiterscheinungen, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich mindern. Darüber hinaus hat Hörverlust ökonomische Auswirkungen, die sich in den mit Behinderung gelebten Jahren (YDLs) und den behinderungsbereinigten Lebensjahren (DALYs) widerspiegeln.
In Entwicklungsländern ist die Situation besonders prekär, da Kinder mit Hörverlust häufig vom Bildungssystem ausgeschlossen sind, was ihre Chancen auf eine erfolgreiche berufliche Zukunft schmälert. Erwachsene mit Hörverlust stehen vor einer höheren Arbeitslosenquote, und diejenigen, die Arbeit finden, sind oft in niedrigeren Beschäftigungsstufen anzutreffen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beziffert die jährlichen globalen Kosten unbehandelten Hörverlusts auf 980 Milliarden US-Dollar. Diese Summe umfasst nicht nur die direkten Gesundheitskosten, abzüglich der Ausgaben für Hörhilfen, sondern auch die Kosten für Bildungsunterstützung, Produktivitätsverluste und gesellschaftliche Lasten. Besonders betroffen sind Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, auf die 57 % dieser Kosten entfallen. Diese Zahlen verdeutlichen die Dringlichkeit, Hörverlust als globales Gesundheitsanliegen zu adressieren und präventive sowie rehabilitative Maßnahmen zu fördern, um die individuellen und gesellschaftlichen Belastungen zu minimieren.
Viele Ursachen für Hörverluste wären vermeidbar
Hörverlust kann oft durch präventive öffentliche Gesundheitsstrategien und klinische Maßnahmen vermieden werden. Diese Präventionsmaßnahmen sind über den gesamten Lebenszyklus hinweg von großer Bedeutung. Sie beginnen bereits in der pränatalen Phase und erstrecken sich bis ins hohe Alter. Bei Kindern lassen sich beinahe 60 Prozent der Fälle von Hörverlust auf vermeidbare Ursachen zurückführen. Durch die Implementierung von Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit könnten diese vermieden werden. Auch bei Erwachsenen sind die häufigsten Gründe für Hörverlust, wie Lärmbelastung und ototoxische Medikamente, verhinderbar.
Effektive Strategien zur Reduzierung von Hörverlust umfassen verschiedene Maßnahmen in unterschiedlichen Lebensphasen. Dazu zählen die Immunisierung und die Förderung guter Praktiken in der Mutterschaft und Kinderbetreuung. Ebenso wichtig ist die genetische Beratung sowie die Identifizierung und Behandlung von häufigen Ohrenerkrankungen. Arbeitsplatzprogramme zum Schutz des Gehörs bei Lärm und chemischer Belastung sind ebenfalls entscheidend. Darüber hinaus tragen sichere Hörstrategien dazu bei, die Belastung durch laute Geräusche in der Freizeit zu reduzieren. Der rationale Einsatz von Medikamenten spielt eine wichtige Rolle bei der Vorbeugung von ototoxischem Hörverlust. Diese Maßnahmen sind nicht nur effektiv, sondern auch essentiell, um die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten und zu verbessern.
Identifizierung und Rehabilitation
Die rechtzeitige Identifikation von Hörbeeinträchtigungen sowie Erkrankungen des Ohres ist essenziell für eine effektive Therapie. Ein systematisches Screening-Programm ist unerlässlich, um Hördefizite und assoziierte Ohrerkrankungen bei Risikogruppen frühzeitig zu erkennen. Zu diesen Risikogruppen zählen Neugeborene, Kleinkinder, Kinder im Vorschul- und Schulalter, Berufstätige, die Lärm oder Chemikalien ausgesetzt sind, Personen, die ototoxische Medikamente einnehmen, sowie ältere Erwachsene.
Die Durchführung von Hörtests und Ohruntersuchungen ist in Kliniken sowie ambulanten Einrichtungen möglich. Digitale Hilfsmittel, wie beispielsweise die HearWHO-App, bieten auch bei begrenzten Ressourcen und ohne umfangreiche Schulungen die Möglichkeit, Ohrenerkrankungen und Hörverlust frühzeitig zu erkennen. Sobald ein Hörverlust diagnostiziert wurde, ist es von großer Bedeutung, diesen umgehend und adäquat zu behandeln, um eventuelle negative Folgen abzuschwächen. Eine proaktive Herangehensweise in der Diagnostik und Therapie von Hörbeeinträchtigungen trägt maßgeblich zur Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen bei.
Rehabilitation bei Hörverlust
Rehabilitative Maßnahmen ermöglichen es Menschen mit Hörverlust, ihre täglichen Aktivitäten mit größtmöglicher Selbstständigkeit zu bewältigen. Sie unterstützen Betroffene dabei, in Bildung, Beruf und Freizeit aktiv zu sein und bedeutsame Rollen in Familie und Gemeinschaft zu übernehmen. Dies trägt zu einer lebenslangen Teilhabe bei. Zu den Kernaspekten der Rehabilitation zählen die Bereitstellung und Schulung im Umgang mit Hörtechnologien. Dazu gehören Hörgeräte, Cochlea-Implantate und Mittelohrimplantate.
Des Weiteren umfasst die Rehabilitation Sprach- und Sprechtherapien. Diese fördern die Wahrnehmung und tragen zur Entwicklung von Kommunikations- und Sprachkompetenzen bei. Ebenso wird das Erlernen der Gebärdensprache und anderer sensorischer Ersatzmethoden gefördert. Beispiele hierfür sind Lippenlesen, die Nutzung von Handschrift, Tadoma und Gebärdenkommunikation.
Zudem werden Hörhilfetechnologien und -dienste bereitgestellt. Hierzu zählen Frequenzmodulations- und Induktionsschleifensysteme, Alarmgeräte sowie Telekommunikationshilfen. Untertitelungsdienste und Gebärdendolmetschung sind ebenfalls Teil des Angebots.
Abschließend spielt die Beratung eine wesentliche Rolle. Sie dient der Förderung des Engagements in Bildung, Beruf und im gesellschaftlichen Leben. Durch Schulungen und Unterstützungsangebote wird die aktive Teilnahme am Gemeinschaftsleben gestärkt.
WHO: Taubheit und Hörverlust sind ein globales Problem
Das Hauptanliegen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Bereich der Ohren- und Hörpflege besteht darin, eine ganzheitliche, personenzentrierte Versorgung zu fördern. Diese Bestrebung basiert auf den Richtlinien des Weltberichts zum Hören von 2021 und der Resolution der Weltgesundheitsversammlung zur Prävention von Gehörverlust.
Die WHO unterstützt Mitgliedstaaten durch Beratung und Sensibilisierung für die Bedeutung der Ohren- und Hörpflege. Sie erleichtert die Erhebung und Verbreitung relevanter Daten und Informationen, wie sie im Weltbericht zum Hören dargestellt sind. Des Weiteren stellt die WHO technische Ressourcen und Leitfäden bereit, um die Planung und den Ausbau der Kapazitäten von Gesundheitssystemen im Bereich der Ohren- und Hörpflege zu erleichtern. Sie bietet Richtlinien zur Verbesserung der Rehabilitation für Menschen mit Hörverlust und unterstützt die Ausbildung medizinischen Personals durch Schulungsprogramme für die primäre Ohren- und Hörpflege.
Die WHO fördert sicheres Hören, um das Risiko von Hörverlust durch Freizeitlärm zu minimieren, und beobachtet den Welttag des Hörens, um das Bewusstsein für diese Thematik zu stärken. Zudem baut sie Partnerschaften auf, um effektive Hörpflegeprogramme zu entwickeln, die erschwingliche und zugängliche Dienste sowie Hörhilfen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen integrieren. Im World Hearing Forum engagiert sich die WHO nachhaltig für die Verbesserung der Ohren- und Hörpflege weltweit.