Bremen, 12.09.2024 (fs) – Häufig versuchen Arbeitgeber, die Anstellung von Menschen mit Schwerbehinderung zu vermeiden. Sie deuten bei der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch an, dass die Chancen auf eine Anstellung gering sind. Ein regionales Arbeitsgericht sah sich mit der Frage konfrontiert: Ab wann wird eine formelle Einladung diskriminierend? Der betreffende Fall verdeutlicht, dass auch ein Verfahren, das den Gesetzen zu entsprechen scheint, zu einer Benachteiligung führen kann. Dies geschieht, wenn es auf eine Weise durchgeführt wird, die einen Bewerber davon abhält, sich zu bewerben.
Das Gesetz äußert sich wie folgt: Gemäß § 82 Satz 2 und 3 SGB IX müssen öffentliche Arbeitgeber schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Dies gilt, sofern keine offensichtliche fachliche Ungeeignetheit vorliegt.
Das Gesetz zielt darauf ab, sicherzustellen, dass schwerbehinderte Bewerber die gleichen Chancen wie andere Kandidaten haben. Im diskutierten Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg verhandelt wurde, führte jedoch die Auslegung dieser gesetzlichen Bestimmung zu einer Benachteiligung des schwerbehinderten Klägers.
Der aktuelle Fall
In der aktuellen Situation stellte der Arbeitgeber, ein Landkreis, zwar ein Vorstellungsgespräch in Aussicht. Gleichzeitig wies er jedoch darauf hin, dass die Schwerbehinderung des Bewerbers dessen Erfolgschancen mindere. Solch eine Mitteilung könnte potenziell entmutigend wirken. Im konkreten Fall führte dies dazu, dass der schwerbehinderte Kläger, mit einem Behinderungsgrad von 100, von einer Teilnahme absah. Die zusätzliche Erwähnung geringer Erfolgsaussichten durch den Arbeitgeber kann als demotivierend wahrgenommen werden. Sie könnte Bewerber davon abhalten, sich weiter um die Stelle zu bemühen.
Die Reaktion des Bewerbers erscheint nachvollziehbar, insbesondere für Personen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Die Rechtsprechung hat in diesem Kontext eine bedeutende Rolle gespielt. Sowohl das Arbeitsgericht Pforzheim als auch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg haben die beschriebene Einladungspraxis als diskriminierend eingestuft.
Nach § 22 AGG liegt die Vermutung einer Benachteiligung wegen Behinderung vor. Dies ist der Fall, wenn ein öffentlicher Arbeitgeber formell zu einem Gespräch einlädt, aber dem Bewerber zugleich minimale Erfolgschancen anzeigt. Ein solches Verhalten gilt als klare Missachtung des Diskriminierungsverbots. Der Arbeitgeber bewertet den Bewerber ohne gründliche Prüfung als aussichtslos. Dieses Vorgehen steht im Widerspruch zu den Grundsätzen fairer Beschäftigungspraktiken.
Die Argumente des Landesarbeitsgerichts
In seinem Urteil (1 Sa 13/14) hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg festgestellt, dass ein öffentlicher Arbeitgeber die Pflichten nach § 82 SGB IX nicht erfüllt hat. Der Arbeitgeber war sich bewusst, dass ein Bewerber aufgrund unzureichender Englischkenntnisse nicht alle wesentlichen Anforderungen der offenen Stelle erfüllte. Trotzdem hätte dem Bewerber eine Chance auf ein Vorstellungsgespräch gegeben werden müssen. Der Hinweis auf minimale Erfolgschancen machte dem Bewerber deutlich, dass ein Gespräch lediglich eine Formalität ohne reelle Einstellungsmöglichkeit wäre. Dieses Vorgehen widerspricht den gesetzlichen Vorgaben, die die Integration von schwerbehinderten Menschen in den Arbeitsmarkt fördern sollen.
Aus diesem Fall ergeben sich bedeutende Konsequenzen. Der schwerbehinderte Bewerber empfand das Verhalten des Arbeitgebers als diskriminierend und erhob vor dem Arbeitsgericht Pforzheim Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 2.500 Euro. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, und das Landesarbeitsgericht bestätigte dieses Urteil. Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Arbeitgeber den Bewerber aufgrund seiner Behinderung benachteiligt und somit gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoßen habe. Eine objektive Prüfung der Bewerbung unter Berücksichtigung der Qualifikationen des Bewerbers wäre geboten gewesen, ohne diesen voreilig als chancenlos zu klassifizieren.
Arbeitgeber haben mit dem Urteil dazu gelernt
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg hebt hervor, dass Arbeitgeber ihren Pflichten umfassend nachkommen müssen. Es reicht nicht aus, lediglich formale Einladungen zu Vorstellungsgesprächen zu versenden. Diese müssen frei von Äußerungen sein, die potenziell die Erfolgschancen eines Kandidaten beeinträchtigen könnten. Öffentliche Arbeitgeber sollten sich der erheblichen Bedeutung bewusst sein, dass diskriminierendes Verhalten nicht nur gegen das Gleichbehandlungsgesetz verstößt. Es schadet auch dem Vertrauen in eine faire Behandlung aller Teilnehmer am Arbeitsmarkt. Dieses Bewusstsein ist entscheidend, um die Integrität des Einstellungsprozesses zu wahren und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben sicherzustellen.
Diese richtungsweisende Entscheidung bekräftigt die Rechte von Menschen mit Schwerbehinderung und verdeutlicht, dass Diskriminierung im Rahmen von Bewerbungsprozessen nicht hingenommen wird. Arbeitgeber müssen sich darauf vorbereiten, dass Bewerber, die sich benachteiligt fühlen, ihre Rechte vor Gericht geltend machen und dort auch Erfolg haben können. Dieses Urteil ist ein klares Signal an alle Arbeitgeber, die Bedeutung einer gerechten und diskriminierungsfreien Behandlung aller Bewerber ernst zu nehmen und entsprechend zu handeln.