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Paris ist nicht vorbereitet auf Menschen mit Behinderungen: Paralympics nur noch Social Washing?

Lesedauer 5 Minuten

Unsere inklusive Meinung

Von Frank Schurgast und Julia Maiano

Bremen, 18.08.2024 – Das offizielle Poster für die Olympischen Spiele 2024 ist ein Kunstwerk voller Details. Es präsentiert ein Wimmelbild, das die Zuschauer fasziniert. Auf dem Dach des Grand Palais ist eine Szene zu sehen, die ins Auge fällt. Zwei Athleten im Rollstuhl kreuzen dort ihre Klingen. Sie sind Fechter, die ihre Sportart mit Hingabe ausüben. Dieses Bild symbolisiert den Geist der Spiele: Inklusion, Talent und den Willen, Grenzen zu überwinden. Es ist ein kraftvolles Statement, das die Vielfalt und die Stärke des menschlichen Geistes feiert. Diese Darstellung symbolisiert das Streben nach Inklusion, welches das Internationale Olympische Komitee (IOK) vermitteln möchte. Marie-Amelie Le Fur, die Vorsitzende des Französischen Paralympischen und Sportlichen Komitees, bezeichnet Sport als einen Katalysator für Charakterstärke.

Jedoch offenbart ein Blick auf die Realität eine andere Wahrheit. Die Olympischen Spiele und die Paralympics finden auch dieses Jahr separat statt, mit einem zeitlichen Abstand von über zwei Wochen. Die Paralympischen Spiele, ein Ereignis, das Athleten mit Behinderungen aus aller Welt zusammenbringt, starten am 28. August. Eine feierliche Eröffnungszeremonie wird auf den Champs Elysees stattfinden. Dies markiert einen bedeutenden Unterschied zu früheren Veranstaltungen, da die Zeremonie nicht an der Seine abgehalten wird. Die Entscheidung, die Champs Elysees als Schauplatz zu wählen, unterstreicht die Bedeutung und den Respekt, der den Paralympischen Spielen entgegengebracht wird. Sie bietet eine prestigeträchtige Kulisse für die Eröffnung dieses herausragenden sportlichen Wettbewerbs. Die Trennung wirft aber die Frage auf, ob Paris 2024 wirklich einen Fortschritt in Richtung Inklusion darstellt.

Ein Versäumnis?

Die separate Abhaltung der Wettbewerbe könnte als Versäumnis wahrgenommen werden, die Paralympics auf eine Stufe mit den Olympischen Spielen zu heben. Der Eindruck entsteht, dass die Paralympics trotz Inklusions- und Gleichstellungsbemühungen im Schatten der Olympischen Spiele stehen. Die eigene Eröffnungszeremonie der Paralympics mag als Zeichen gedeutet werden, dass der Weg zur wahren Inklusion in der Gesellschaft noch weit ist.

Die Eröffnung der Paralympics auf den Champs Elysees könnte als Bemühung interpretiert werden, paralympischen Sportlern mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Allerdings mag die Entscheidung, sie nicht an der Seine auszutragen, als verpasste Chance für ein deutliches Inklusionssignal wirken. Die separate Durchführung beider Veranstaltungen könnte im Widerspruch zu den Zielen des Internationalen Olympischen Komitees stehen.

Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele standen auch Athleten mit Behinderungen im Fokus. Dies würdigte Markus Rehm, ein renommierter deutscher Paralympionike, als „exzellent“. Er sprach sich für eine verstärkte Integration der Sportler aus. Eine Idee ist eine gemeinsame Schlussfeier für Olympische und Paralympische Spiele. Ein innovativer Vorschlag ist ein Staffellauf. Hier würden Athleten mit und ohne Behinderungen zusammen das olympische Feuer entfachen. Der Gewinner könnte diese ehrenvolle Rolle übernehmen.

Keine einhellige Meinung in Deutschland

Verbände, die die Interessen von Menschen mit Behinderungen in Deutschland vertreten, zeigten sich über diese Vorschläge geteilter Meinung. Cathrin Delbrouck, Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Inklusion, wies darauf hin, dass Olympische Spiele und Paralympics nach wie vor separat organisiert werden. Sie merkte an, dass die Athleten nach den Olympischen Spielen oft umgehend abreisen, was dazu führt, dass die Paralympics in der medialen Berichterstattung möglicherweise nicht die verdiente Aufmerksamkeit erhalten. Ihrer Meinung nach ist das Ideal der Inklusion von der Realität der Olympischen Spiele noch weit entfernt.

Andere Stimmen heben hervor, dass die Gefahr des sogenannten Social Washings besteht. Der verwendete Begriff umfasst Strategien, die zum Ziel haben, Anschuldigungen der Diskriminierung zu entkräften. Dies geschieht oft durch die Annahme von Slogans und oberflächlichen Handlungen, die ein Bild der Inklusivität vermitteln sollen. Kritiker dieser Methoden behaupten, dass wahre Inklusion weitreichendere Schritte benötigt, als nur symbolische Aktionen zu setzen. Sie plädieren für eine tiefgreifende Einbindung von Sportlern mit Behinderungen in sämtliche Bereiche der sportlichen Veranstaltungen. Ihr Ziel ist es, eine authentisch inklusive Umgebung zu fördern. Eine solche geht weit über eine einfache Darstellung hinaus und bezieht Menschen mit Behinderungen substantiell mit ein.

Laura Mench, Mitarbeiterin bei „Aktiv und selbstbestimmt“, kritisierte die Inklusionspolitik des Olympischen Komitees. Sie argumentierte, dass Inklusion mehr als nur Ankündigungen erfordert. Entscheidend sei die reale Einbindung von Menschen mit Behinderungen in Planung und Ausführung der Olympischen Spiele. Bisher seien ihr keine solchen Fälle bekannt.

Mench: Olympische Spiele und Paralympics zusammenführen

Mench plädiert dafür, die Olympischen Spiele und die Paralympics zu einer einzigen Veranstaltung zusammenzuführen. Sie argumentiert, dass einige Sportarten potenziell gemeinsam von Athleten mit und ohne Behinderungen ausgeübt werden könnten. Eine sorgfältige Überlegung ist erforderlich, um körperliche Beeinträchtigungen auszugleichen. Dabei dürfen Athleten ohne Behinderungen nicht benachteiligt werden. Das Ziel ist es, echte Chancengleichheit zu schaffen. Es soll die Trennung zwischen den Veranstaltungen aufgehoben werden. Dies fördert ein inklusiveres und vereintes sportliches Ereignis.

Delbrouck hegt Zweifel an der problemlosen Durchführbarkeit gemeinsamer Spiele, schlägt jedoch vor, sie parallel stattfinden zu lassen. Sie argumentiert, dass bei den Olympischen Spielen Frauen und Männer gleichzeitig, aber in getrennten Wettbewerben antreten. Ihrer Meinung nach könnte ein ähnliches Modell auch für Menschen mit Behinderungen angewendet werden.

Markus Rehm hingegen ist skeptisch, ob eine Integration der Spiele realisierbar ist. Er räumt ein, dass einzelne Disziplinen gleichzeitig stattfinden könnten, warnt jedoch davor, dass eine vollständige Zusammenlegung organisatorisch nicht zu bewältigen sei. Er weist darauf hin, dass die Paralympics in einigen Sportarten eigene Regeln haben, die von denen der Olympischen Spiele abweichen. Eine umfassende Erklärung dieser Unterschiede wäre notwendig, was für das Publikum verwirrend sein könnte und das Interesse an den paralympischen Disziplinen möglicherweise verringern würde.

Auf was sich Besucher mit Behinderungen in Paris 2024 einstellen müssen

Die Paralympischen Spiele 2024 in Paris rücken näher. Ein weltweites Publikum erwartet mit Spannung dieses Ereignis. Es symbolisiert Inklusion und sportliche Höchstleistungen. Die Spiele senden eine starke Botschaft aus. Sie zeigen, dass sportliche Wettbewerbe für alle zugänglich sein sollten. Dennoch gibt es Bedenken hinsichtlich der Barrierefreiheit. Kritiker weisen auf die Notwendigkeit hin, die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Dies ist entscheidend, damit alle Besucher die Spiele genießen können. Die Veranstalter stehen vor der Herausforderung, diese Bedenken ernst zu nehmen. Sie müssen sicherstellen, dass die Spiele ein inklusives Erlebnis für alle bieten.

Ein paar Tage vor den Spielen zeigt sich, dass Paris noch einige Hürden zu nehmen hat und dieses in der Kürze der Zeit natürlich nicht mehr schafft.. Die öffentlichen Verkehrsmittel, ein wesentlicher Bestandteil der Infrastruktur einer Stadt, die Tausende von Besuchern empfangen wird, sind nur bedingt barrierefrei. Die S-Bahnhöfe und Metrostationen sind nicht vollständig auf die Bedürfnisse von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ausgerichtet, und es herrscht eine Reservierungspflicht für diejenigen, die Assistenz benötigen. Dies schränkt die Möglichkeit spontaner Reisen ein und beeinträchtigt sowohl das Berufs- als auch das Privatleben der Betroffenen.

Das paralympische Dorf, mit Wegen, die so gestaltet sind, dass sie für Rollstuhlfahrer und paralympische Athleten leicht zu befahren sind. Aber was ist mit den Besuchern? Werden sie die gleiche Zugänglichkeit und Freiheit genießen können, oder werden sie aufgrund von infrastrukturellen Mängeln eingeschränkt?

Der große Druck für Paris kann keine Entschuldigung sein

Es ist klar, dass die Paralympics einen enormen Druck auf die Gastgeberstadt ausüben, ihre Anstrengungen zur Verbesserung der Barrierefreiheit zu intensivieren. Doch die Frage bleibt, ob diese Anstrengungen ausgereicht haben, um ein wirklich inklusives Erlebnis für alle zu schaffen. Die Herausforderung ist groß, insbesondere für die Verkehrsbetriebe, die allein 350.000 Zuschauerinnen und Zuschauer mit Behinderung während der Spiele erwarten.

Die Herausforderungen, denen sich Menschen mit Behinderungen während der Paralympics 2024 in Paris stellen müssen, gehen über Logistik hinaus. Sie reflektieren vielmehr die Haltung der Gesellschaft gegenüber Inklusion und Zugänglichkeit. Diese Veranstaltung bietet Paris die Chance, sich nicht nur als Austragungsort zu bewähren. Die Stadt kann auch zeigen, wie eine Gemeinschaft die Bedürfnisse jedes Einzelnen wertschätzt und integriert.

Die Paralympics sollten ein Symbol für die Überwindung von Hindernissen sein, nicht nur für die Athleten, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes. Es bleibt zu hoffen, dass die Paralympics 2024 in Paris nicht nur in Erinnerung bleiben werden für die sportlichen Leistungen, sondern auch für den Fortschritt, der in Richtung einer barrierefreien und inklusiven Welt gemacht wurde. Doch es wird wohl nur eine Hoffnung bleiben. Paris ist 2024 fern der Inklusion und Teilhabe.

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