Bremen, 15.10.2024 (fs) – Ein internationales Forschungsteam warnt in der Zeitschrift Nature Reviews Cardiology vor gravierenden Zusammenhängen zwischen Umweltverschmutzung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Pestizide, Schwermetalle, Mikro- und Nanoplastik sowie umweltschädliche Chemikalien im Boden können das Herz-Kreislauf-System erheblich beeinträchtigen.
Unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Münzel von der Universitätsmedizin Mainz fasst ein Forschungsteam aktuelle Studienergebnisse zusammen. Diese zeigen, dass chemische Schadstoffe in der Umwelt ein signifikantes Risiko für die menschliche Gesundheit darstellen. Besonders alarmierend ist die hohe Zahl der Todesfälle in bestimmten Weltregionen.
Die umfassende Literaturübersicht, veröffentlicht in Nature Reviews Cardiology, hebt die Dringlichkeit weiterer Forschungsarbeit hervor. Ziel ist es, Strategien zur Reduzierung der Umweltbelastung zu entwickeln und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Die Forscherinnen und Forscher appellieren an Politik und Gesellschaft, umgehend zu handeln, um die weitreichenden Folgen der Umweltverschmutzung einzudämmen.
Umweltverschmutzungen fördern Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Der Übersichtsartikel hebt hervor, dass jährlich etwa 9 Millionen Menschen weltweit vorzeitig an Umweltverschmutzung sterben. Von diesen Todesfällen sind etwa 5,5 Millionen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen. Besonders besorgniserregend sind die Zahlen in stark verschmutzten Ländern. In Indien sterben jährlich mehr als 2,3 Millionen Menschen an chemischen Schadstoffen. In China sind es fast 1,9 Millionen Todesfälle. Weitere betroffene Länder sind Nigeria mit 279.000 jährlichen Todesfällen und Indonesien mit 233.000 Todesfällen.
Schadstoffe wie Schwermetalle, Pestizide, Dioxine sowie Mikro- und Nanoplastik gelangen über verschiedene Quellen in Böden und Gewässer. Diese Quellen umfassen Industrie, Landwirtschaft und Siedlungsabfälle. Diese Verunreinigungen verursachen nicht nur Gesundheitsprobleme. Sie beeinträchtigen auch die Nahrungsmittelproduktion und gefährden die Trinkwasserversorgung.
Die versteckte Gefahr: Schwermetalle und Mikroplastik
Ein besonders bedrohlicher Schadstoff ist Blei, das fast 50 % aller chemisch verursachten Gesundheitsprobleme ausmacht. Die Belastung durch Blei führte 2019 zu 21,7 Millionen verlorenen Lebensjahren durch Behinderung und Tod. Auch Cadmium und Quecksilber sind stark gesundheitsschädigend. Beide verursachen oxidative Zellschäden, die zu Bluthochdruck, Arteriosklerose und Herzinfarkten führen können.
Mikro- und Nanoplastik gelangen über Nahrung und Wasser in den menschlichen Körper. Diese Partikel verursachen Zellschäden, Entzündungen und Herzrhythmusstörungen. Dadurch erhöhen sie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Besonders betroffen sind Menschen in Küstenregionen und Länder mit hoher Abhängigkeit von Fischerei.
Zunehmend an Bedeutung gewinnt auch die Gefährdung durch kontaminierten Luftstaub, wie Sahara- oder Wüstenstaub. Rund 770.000 Herz-Kreislauf-Todesfälle jährlich können auf die Staubbelastung zurückgeführt werden. Die globale Erwärmung wird diese Situation weiter verschärfen.
Besonders stark betroffen sind Entwicklungsländer
Die Untersuchung belegt, dass die gesundheitlichen Auswirkungen der Umweltverschmutzung weltweit spürbar sind. Besonders in Entwicklungsländern führen sie zu hohen Sterblichkeitsraten. Über 90 % der Todesfälle durch Umweltverschmutzung ereignen sich in Entwicklungs- und Schwellenländern. Regionen mit intensiver industrieller Aktivität und unkontrollierter landwirtschaftlicher Nutzung von Pestiziden sind besonders betroffen. Auch unsachgemäße Abfallentsorgung trägt dazu bei. Diese Länder leiden stark unter den Folgen der Verschmutzung, da oft keine ausreichenden Maßnahmen zur Schadstoffkontrolle umgesetzt werden.
Forderung nach raschem Handeln
Die Forscherinnen und Forscher betonen die Notwendigkeit globaler Maßnahmen. Ziel ist es, die chemische Belastung der Umwelt zu reduzieren. „Unsere Gesundheit hängt direkt von einer gesunden Umwelt ab“, betont Prof. Münzel. Die Bekämpfung der Boden- und Wasserverschmutzung ist entscheidend. Nur so lässt sich die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen eindämmen.
Ein wichtiges Ziel des Artikels war es, Kardiologinnen und Kardiologen zu ermutigen. Sie sollten Umweltfaktoren berücksichtigen, die das Risiko ihrer Patienten beeinflussen können“, so Münzel weiter. Die Studie zeigt, dass nachhaltige Umweltstrategien notwendig sind. Nur so kann der globalen Gesundheitskrise begegnet werden.
Über die Studie
Die Übersichtsstudie wurde von einem internationalen Team von Forschenden erstellt, darunter Expertinnen und Experten aus den Bereichen Kardiologie, Umweltchemie und Epidemiologie. Diese Arbeit fasst die neuesten Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Umweltverschmutzung auf die öffentliche Gesundheit zusammen und zeigt auf, dass Umweltverschmutzung nicht nur ökologische, sondern auch erhebliche gesundheitliche Bedrohungen mit sich bringt.
Das Forschungsteam
Das internationale Forschungsteam umfasst renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Institutionen weltweit:
- Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz: Zu den Autoren aus dieser Einrichtung gehören Thomas Münzel, Omar Hahad und Andreas Daiber, die sich intensiv mit den kardiovaskulären Auswirkungen der Umweltverschmutzung befasst haben.
- Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz: Jos Lelieveld, ein führender Experte in der Umweltchemie, trägt zu den chemischen Analysen und Modellen bei, die die Verbreitung und die chemische Zusammensetzung der Schadstoffe beschreiben.
- Abteilung für Molekulare Pharmakologie, Albert Einstein College of Medicine, Bronx, NY, USA: Michael Aschner bringt Erkenntnisse aus der molekularen Pharmakologie ein und untersucht, wie Schadstoffe auf zellulärer Ebene wirken.
- Center for Research in Environmental Epidemiology (CREAL), Barcelona, Spanien: Mark Nieuwenhuijsen liefert epidemiologische Daten, die helfen, die Auswirkungen der Umweltverschmutzung auf die menschliche Gesundheit in verschiedenen Populationen zu verstehen.
- Global Observatory on Planetary Health, Boston College, Boston, MA, USA: Philip Landrigan bietet eine globale Perspektive auf die gesundheitlichen Auswirkungen und politische Implikationen der Umweltverschmutzung.
Kernpunkte der Übersicht
Die Übersichtsstudie hebt mehrere kritische Punkte hervor:
- Ökologische und gesundheitliche Bedrohungen: Die Studie stellt klar, dass Umweltverschmutzung nicht nur die Umwelt, sondern auch die menschliche Gesundheit gravierend bedroht. Schadstoffe in Luft, Wasser und Boden können zu einer Vielzahl von Krankheiten führen, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen und Krebs.
- Interdisziplinärer Ansatz: Durch die Zusammenarbeit von Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen wird ein umfassendes Bild der Problematik gezeichnet. Die Kombination von kardiologischen, chemischen und epidemiologischen Erkenntnissen erlaubt es, die komplexen Wechselwirkungen zwischen Umweltverschmutzung und Gesundheit besser zu verstehen.
- Globale Relevanz: Die Arbeit betont, dass Umweltverschmutzung ein globales Problem ist, das internationale Zusammenarbeit und politische Maßnahmen erfordert. Unterschiede in der Exposition und Anfälligkeit der Bevölkerung müssen dabei berücksichtigt werden.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Die Studie schließt mit mehreren wichtigen Empfehlungen:
- Strengere Umweltrichtlinien: Die Forschenden plädieren für schärfere Umweltvorschriften und Grenzwerte für Schadstoffe, um die öffentliche Gesundheit besser zu schützen.
- Erhöhte Forschung: Es wird gefordert, mehr interdisziplinäre Forschung zu betreiben, um die Mechanismen, durch die Umweltverschmutzung die Gesundheit beeinflusst, besser zu verstehen.
- Globale Zusammenarbeit: Um das Problem effektiv anzugehen, ist eine verstärkte internationale Zusammenarbeit erforderlich, sowohl in der Forschung als auch in der politischen Umsetzung.
Diese umfassende Übersichtsarbeit unterstreicht die dringende Notwendigkeit, Umweltverschmutzung als eine der Hauptbedrohungen für die öffentliche Gesundheit ernst zu nehmen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Download der Orginalpublikation
Soil and water pollution and cardiovascular disease. Münzel et al., Nature Reviews Cardiology 2024