Bremen, 14.10.2024 (fs) – Die Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte setzt neue Maßstäbe bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Diese wichtigen Initiativen haben ihren Ursprung in Aulendorf und Konstanz.
Noch 84 Tage bis Dreikönig, wenn die neue närrische Saison beginnt. Die Vorbereitungen für die Fasnet 2025 laufen bereits auf Hochtouren. Mehr als 500 Vertreter der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) tagten am Wochenende in Villingen-Schwenningen. Der Verband, der dieses Jahr 100 Jahre alt wird, will bei der Fastnacht in Baden-Württemberg künftig mehr Inklusion ermöglichen.
Einigkeit herrscht bei den Zünften: Jeder soll ohne große Einschränkungen die Fastnacht feiern können. Die Teilnahme von Menschen mit Beeinträchtigungen ist jedoch oft nicht uneingeschränkt möglich. Gründe sind fehlende Barrierefreiheit, nicht vorhandene notwendige Infrastruktur oder eingeschränkte Möglichkeiten, Veranstaltungen zu folgen.
Initiatoren stellen ihre Projekte vor
Bei der VSAN-Herbsttagung trafen Roland Scherer (Konstanz) und Michael Weißenrieder (Aulendorf) ins Schwarze. Beide Referenten stellten Lösungen für die Inklusion vor. In Konstanz und Aulendorf entstanden unabhängig voneinander Konzepte für eine „Fastnacht für alle“. Nun möchten sie andere Zünfte bei ähnlichen Projekten unterstützen.
„Viele der Aktivitäten lassen sich ohne großen Aufwand durchführen“, erläuterte Roland Scherer. In Aulendorf wurde eine Gebärdendolmetscherin engagiert, um bei Brauchveranstaltungen live zu informieren.
Konkrete Umsetzung
In Konstanz kommentierten „Blindenreporter“ die Umzüge. Über Bluetooth-Kopfhörer wurde die Reportage den Teilnehmenden zugänglich gemacht. „Die Blindenreporter des SC Freiburg und des FC Kaiserslautern leisteten wichtige Unterstützung“, so Scherer. Für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen wurden geschützte Räume geschaffen. Diese Räume ermöglichte es Rollstuhlfahrern und Senioren, ohne Gedränge und mit Sitzmöglichkeiten die Umzüge zu verfolgen.
Großer Anklang bei den Zunftmeistern
Den Narrenvertretern bei der Tagung in Schwenningen empfahlen Weißenrieder und Scherer: „Die Erfahrungen zeigen, wie wichtig es ist, dass wir Narren eng mit Betroffenen und mit deren Selbsthilfeinitiativen zusammenarbeiten. Denn diese wissen am besten, was genau gebraucht wird und worauf zu achten ist.“ Aktuell ist geplant, bei den beiden sogenannten Landschaftstreffen der VSAN in Aulendorf und in Bad Dürrheim entsprechende Angebote bereitzustellen, etwa die Blindenreportagen der beiden Umzüge.
„Ich glaube, es ist wichtig, dass wir den Fokus auf die Menschen mit Beeinträchtigungen legen. Ich hoffe, dass das Schule macht“, lobte VSAN-Präsident Roland Wehrle. „Es ist unsere Aufgabe, den Menschen die Teilhabe zu ermöglichen“, nimmt Wehrle sich und seine Zünfte in die Pflicht.
Mit der Herbsttagung endete für den Narrenverband gewissermaßen sein Jubiläumsjahr: Die VSAN wurde als älteste Fastnachtsvereinigung Deutschlands in diesem Jahr 100.
100 Jahre Vereinigung
„Wenn man fragt, worin der größte Verdienst von 100 Jahren VSAN liegt, ist das sicherlich, dass heute in der Fachwelt kein Zweifel mehr besteht, dass Fastnacht Kultur ist“, ist sich Werner Mezger sicher. „Bisher hat man den kulturellen Wert der Fastnacht vor allem im Historischen gesucht und gefunden“, so Mezger, „das ist aber nicht alles.“ Kultur habe immer auch eine soziale Funktion, betonte der Professor mit Blick auf das vorgestellte Inklusionsprojekt. „Fastnacht und Karneval bewirken genau das, was die Politik immer will, nämlich Zusammenhalt der Gesellschaft.“ Fastnacht sei niederschwellig, grenze niemanden aus, lade jeden zum Mitmachen ein. „Es ist eine kulturelle Ausdrucksform, die von Millionen Menschen Jahr für Jahr gelebt wird. Das ist auch das Ergebnis von 100 Jahren Vereinigung.“
Titelbild: Guido Radig, Rottweiler Fassnacht, CC BY 3.0