Bremen, 22.08.2024 (fs) – Jule Roßs Weg in die Para Leichtathletik ist eine Geschichte voller Entschlossenheit und Leidenschaft. Vor nur zwei Jahren begann sie mit dem Sport und steht nun kurz vor ihrer ersten Teilnahme an den Paralympics. Ihre Entwicklung als 18-jährige Sprinterin, die nie den Plan hatte, im Leistungssport aktiv zu sein, ist bemerkenswert. „Besonders im Schulsport habe ich aber nach und nach gemerkt, wie sehr ich die Leichtathletik vermisst habe“, sagte Roß. Dieses Zitat unterstreicht ihre tiefe Verbundenheit mit dem Sport und ihre innere Motivation, die sie zum Para Sport führte.
2022 entdeckte sie durch einen Instagram-Post über eine Veranstaltung des TSV Bayer 04 Leverkusen den Para Sport. Ohne vorherige Erfahrung in der Para Leichtathletik, meldete sie sich zu einem Probetraining an. Ihre Sehnsucht nach einem erfüllenden Sport war unübersehbar. Mit sieben Jahren hatte sie bereits olympische Leichtathletik betrieben und war später zum Tennis übergegangen. Ihre Worte reflektieren die Wiederentdeckung ihrer ersten Liebe zum Sport und den Mut, einen neuen Weg einzuschlagen.
Die Trainingsstätte der Leverkusener Leichtathleten, nur wenige Kilometer von ihrem Heimatort entfernt, wurde zu ihrem neuen Zuhause. Nach ihrer ersten Trainingseinheit wusste Roß, dass sie ihre Bestimmung gefunden hatte. „Ich wurde mit offenen Armen empfangen und habe mich sofort wohlgefühlt“, erinnert sie sich. Heute, zwei Jahre später, tritt sie in den Disziplinen 400, 200, 100 Meter und im Weitsprung an und bezeichnet diese Entscheidung als die beste ihres Lebens. Ihre Geschichte ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie man mit Hingabe und Leidenschaft außergewöhnliche Erfolge erzielen kann.
Selbstbewußtsein gestärkt
Jule Roß hat durch den Para Sport an Selbstvertrauen gewonnen. Sie hatte zuvor keinen Kontakt zu anderen Menschen mit Behinderungen und fühlte sich oft isoliert mit ihren Gedanken und Fragen. Die Begegnung mit Gleichgesinnten in Leverkusen war ein Wendepunkt für sie. Dort knüpfte sie Freundschaften mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen teilen. Diese neuen Beziehungen und der Austausch mit anderen haben ihr geholfen, ihre Behinderung besser zu akzeptieren und zu bewältigen.
Ihre sportliche Laufbahn begann in einer Breitensportgruppe. Mittlerweile ist sie Teil des Trainingsprogramms für Spitzensportler beim TSV Bayer 04 Leverkusen. Sie trainiert Seite an Seite mit Athleten wie dem Sprinter Johannes Floors. Als Nachwuchstalent zieht sie großen Nutzen aus dem intensiven Austausch mit erfahrenen Sportlern. Die Ratschläge und Unterstützung, die sie erhält, tragen zu ihrer rasanten Entwicklung bei. Ihre Fortschritte bestätigen, dass der eingeschlagene Weg im Leistungssport für sie der richtige ist.
Jule Roß, damals 17 Jahre alt, erlebte ihren ersten internationalen Einsatz auf höchstem Niveau unerwartet. „Etwa sechs Wochen vor der WM in Paris im vergangenen Jahr habe ich erfahren, dass ich mitfahren darf. Da war dann nicht mehr viel mit Vorbereitung“, reflektiert Roß. Während der Weltmeisterschaften sammelte sie wertvolle Erfahrungen und übertraf gleichzeitig ihre persönlichen Rekorde. In diesem Jahr repräsentierte sie Deutschland erneut bei der Para-Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Kobe. Ihre Leistungen überstiegen alle Erwartungen. Nicht nur unterbot Jule Roß ihre persönliche Bestzeit von 60 Sekunden deutlich, sie brach auch den deutschen 400-Meter-Rekord, der seit den Paralympischen Spielen 1988 in Seoul Bestand hatte. Dies gelang ihr, obwohl sie erst kürzlich in dieser Disziplin antrat. Sie erreichte den vierten Platz bei den Weltmeisterschaften, erfüllte die Paralympics-Norm und erhielt großes Lob von Bundestrainerin Marion Peters, die sie als „Entdeckung der WM“ würdigte.
„Wenn man so etwas liest, ist es natürlich schön und auch eine Wertschätzung für junge Athleten wie mich“, äußert sie. Und weiter: „Ich wurde eigentlich nur mitgenommen, um etwas zu lernen – die WM-Norm hatte ich nicht. Wenn man dann so gute Leistungen abrufen kann, zeigt das, dass sich die Mitnahme gelohnt hat. Das ist ein tolles Gefühl!“ Die Atmosphäre bei der Weltmeisterschaft in Kobe empfand die mittlerweile 18-Jährige als besonders, wenn auch ungewohnt, aber motivierend. Obwohl die vollen Zuschauerränge sie in ihren Sprintdisziplinen anspornten, bevorzugt sie beim Weitsprung eine ruhigere Umgebung, um sich zu konzentrieren: „Da bin ich nicht der Typ, der zum Klatschen animiert, was ja viele mögen“, berichtet sie.
Und auf einmal: Paralympics-Premiere
Die herausragenden Erfolge bei der Weltmeisterschaft sowie die beeindruckende Fortentwicklung in den letzten zwei Jahren haben der Athletin eine Nominierung für die anstehenden Paralympischen Spiele in Paris eingebracht. Sie wird in allen vier Sportarten antreten, die sie beherrscht. „Mein Fokus liegt auf den 400 Meter. Das ist meine beste Disziplin und ich habe dabei die höchsten Chancen, möglichst weit zu kommen. Alles andere ist zum Lernen“, erklärt die Para-Leichtathletin der Klasse T46.
Bereits am zweiten Tag der Wettkämpfe, dem 30. August, wird es ernst: Um 19 Uhr betritt Jule Roß das Stade de France und startet in ihrer Spezialdisziplin in die Paralympics. Für das Nachwuchstalent aus Leverkusen ist die Teilnahme bereits ein Triumph. Ihre Ziele für Paris formuliert sie daher bescheiden: „Ich möchte vor allem Spaß haben, jeden Moment genießen und alles aufsaugen, was geht“, so Roß. Sie fügt hinzu: „Mein Traum wäre natürlich, dass ich es in ein paralympisches Finale schaffe.“
Jule Roß, die junge Sprinterin, steht vor ihrem ersten großen Wettkampf, doch von Nervosität keine Spur. Sie gibt zu, dass sie sich selbst gewisse Ziele setzt, was durchaus üblich ist. Mit Blick auf die Zukunft und die vielen Jahre, die noch kommen werden, betrachtet sie jedes Ereignis als einen Gewinn. Ihre Familie spielt eine zentrale Rolle in ihrer sportlichen Laufbahn, insbesondere ihre Eltern, die sie als ihre persönlichen Vorbilder ansieht. Trotz des möglicherweise abgedroschen klingenden Bekenntnisses, ist es ihre Familie, die ihr den Rücken stärkt und sie zu dem Punkt gebracht hat, an dem sie heute steht.
Zahlreiche Familienangehörige und Freunde planen, nach Paris zu kommen, um Roß bei ihrem Debüt zu unterstützen. Die Vorfreude auf das Stadionerlebnis, die Atmosphäre während der Wettkämpfe, sowie das Dorfleben und die Gemeinschaft mit anderen Athleten und Nationen ist groß. Die Erfahrungen der letzten Weltmeisterschaft, die sie zu Höchstleistungen anspornten, sind für Roß ein Antrieb, an diese Erfolge in Paris anzuknüpfen. Sie hofft, dass die Unterstützung und die einzigartige Stimmung ihr dabei helfen werden, ihre Leistungen zu steigern und ihre sportlichen Ziele zu erreichen.
Jule Roß, die angehende Lehramtsstudentin, erlebt in ihrer Karriere eine aufregende Phase. Sie sagt: „Das gesamte aktuelle Jahr ist ein großes Highlight für mich. Ich habe Abitur gemacht und dadurch gerade viel Freizeit.“ Ihre Teilnahme an der Weltmeisterschaft und die bevorstehende Premiere bei den Paralympics erfüllen sie mit Dankbarkeit. Als zukünftige Lehrerin für Geografie und Sozialwissenschaften hegt sie große Pläne. „Ich will vor allem glücklich sein und viele Länder bereisen.“, erklärt sie mit einem Lächeln. Der Sport ermöglicht ihr bereits, viele Länder zu sehen. Eine Reise nach Paris verspricht in diesem Spätsommer ein besonderes Erlebnis zu werden. Es ist nur der Anfang einer vielversprechenden Karriere, die wie ein Märchen anmutet.
Titelbild: Jule Roß / Foto: Perspektiv Team