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Disability History: Behindertensport im Nationalsozialismus

Disability History: Behindertensport im Nationalsozialismus

Die historische Entwicklung des Behindertensports ist eng mit individuellen Freiheiten und gesellschaftlichen Standards verknüpft. Eine Betrachtung aus der Perspektive der Disability History offenbart, dass der Körper und seine Darstellung im Laufe der Zeit einem Wandel unterliegen. Historisch betrachtet stellt sich die Frage, was unter ‚Behindertensport‘ zu verstehen ist und welche Erfahrungen damit verbunden sind. Der Terminus könnte bereits eine unangemessene, normative Stigmatisierung darstellen. Die Organisation und Ausübung des Behindertensports erfolgt in verschiedenen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten. Es lässt sich diskutieren, ob der Sport von Menschen mit Behinderungen als soziale Integration, Ausdruck individueller Unabhängigkeit oder medizinische Herausforderung gesehen wird. Der Behindertensport könnte einen Raum politischer Gleichheit schaffen oder bestehende Stereotype verstärken. Er ist verschiedenen historischen Körperkonzepten ausgesetzt, die es zu hinterfragen gilt.

Der Begriff „Behindertensport“ bezeichnet ein vielschichtiges historisches Phänomen, das bisher selten im Mittelpunkt der Sportgeschichte oder der Disability History stand. Es existieren nur wenige Studien, die sich mit der Geschichte des Behindertensports aus diesen Blickwinkeln auseinandersetzen. Insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus stellt eine bislang wenig beachtete, jedoch äußerst relevante Periode dar. In dieser Epoche ist es von Bedeutung, die nationalsozialistischen Politiken der Heilung und Vernichtung, der Verwertung und Ausgrenzung zu betrachten. Die damaligen Vorstellungen von Nützlichkeit und Rassenideologie prägten die Unterscheidung zwischen ‚behindert‘ und ’nichtbehindert‘ sowie zwischen ‚gesund‘ und ‚krank‘. Trotzdem wurden viele Menschen mit Behinderungen nach 1933 in Organisationen des Nationalsozialismus integriert, wobei der Grad ihrer Arbeits- und Bildungsfähigkeit das entscheidende Kriterium war. In diesem Kontext nahm der Sport eine herausragende Stellung ein.

Bis 1933

Der Begriff „Menschen mit Behinderungen“ umfasst eine vielfältige Gruppe, die bereits vor 1933 existierte. Diese Gruppe beinhaltete Individuen mit unterschiedlichsten Merkmalen. Dazu zählten Personen mit Kriegsverletzungen aus beiden Weltkriegen, Menschen mit körperlichen Einschränkungen aus zivilen Gründen, Gehörlose, Blinde, geistig Beeinträchtigte sowie Lernschwache. Historische Erhebungen zeigen, dass über zwei Millionen Erwachsene und rund 100.000 Kinder zu dieser Gruppe gehörten. Darunter waren etwa eine Million Kriegsversehrte des Ersten Weltkriegs, circa 45.000 Gehörlose, 33.000 Blinde einschließlich 3.000 Kriegsblinden und etwa 10.000 lernschwache Schüler, die nicht als geistig behindert klassifiziert wurden. Zwischen 1939 und 1945 kamen weitere 750.000 Kriegsversehrte hinzu.1 Viele dieser Menschen waren schon lange vor 1933 in unterschiedlicher Weise im Vereinssport oder in der schulischen Leibeserziehung aktiv.

Im Bereich des Behindertensports gab es eine klare organisatorische Trennung zwischen Angeboten für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene. Die sportliche Bildung für junge Menschen mit Behinderungen wurde in spezialisierten Einrichtungen durchgeführt. Dazu zählten staatliche und kirchliche Institutionen wie Taubstummenanstalten, Blindenschulen und weitere Förderschulen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts war Sport ein integraler Bestandteil der Behindertenpädagogik. Lehrkräfte, die in Sonderfürsorge- und Berufsverbänden organisiert waren, förderten durch Turnen und Sport die Integration, Disziplin und wirtschaftliche Unabhängigkeit ihrer Schüler.

Bei Kindern mit körperlichen Behinderungen standen orthopädische Aspekte im Vordergrund, während bei blinden Kindern die Raumorientierung, Tastsinn-Schärfung und Vermeidung von Bewegungsmangel im Fokus lagen. Diese Ziele korrespondierten stets mit den damaligen Prinzipien der Behindertenpädagogik, die darauf abzielten, die Arbeits- und Bildungsfähigkeit zu unterstützen. Ein weiterer, eher pragmatischer Grund für die sportlichen Aktivitäten war das Zeitmanagement in Internaten: Sport bot eine Möglichkeit zur Selbstbeschäftigung und sorgte dafür, dass die Kinder ausgelastet und müde wurden.

Marginal organisierter Sport Erwachsener

Im Gegensatz zum professionellen Sport, der weitgehend marginalisiert war, hatten gehörlose Menschen seit dem späten 19. Jahrhundert durch die Gründung eigener Sportvereine und Verbände sowie internationaler Wettkämpfe eine starke institutionelle Präsenz. Mit rund 2.000 Mitgliedern bildeten ihre Sportabteilungen eine eher kleine Gruppe innerhalb der traditionellen Sportorganisationen. Der Gehörlosensport entwickelte, angelehnt an die Organisationen der Hörenden, seit Ende des 19. Jahrhunderts eine eigene Kultur der Verbandszeitschriften, Festschriften und des Gedenkens. Blinde Erwachsene hingegen waren zunächst nur in informellen Sportgruppen aktiv, bis es während der Weimarer Republik zu vereinzelten Vereinsgründungen kam, wie in den Blindenanstalten in Kiel (1926), Berlin (1928) und Breslau (1929).

Ähnliche Bedingungen bestanden für körperbehinderte Erwachsene. Vor allem Mitglieder des 1919 ins Leben gerufenen Selbsthilfebundes Reichsbund für Körperbehinderte (RBK) nutzten die schrittweise eingeführten Sportangebote des Verbandes, wie Schwimmen, Gymnastik und Spiele. Einzig das staatliche Oskar-Helene-Heim in Berlin, eines der sogenannten Krüppelheime, gründete 1924 für seine körperbehinderten Berufsschüler einen Sport- und Turnverein, der als vollwertiges Mitglied dem Verband Brandenburgischer Athletik-Vereine angehörte. Dieser Verein nahm an Marathonläufen und dem „Lauf quer durch Berlin“ teil und illustrierte damit die Verbindung zwischen dem Sport für Behinderte und dem für Nichtbehinderte.2

Nach dem Ersten Weltkrieg

Im Anschluss an den Ersten Weltkrieg erhielten die Kriegsversehrten aufgrund ihres Status Unterstützung für die sportliche Reintegration. Diese Hilfe kam vom Staat, medizinischen Fachkreisen sowie Sport- und Turnvereinen. Während des Krieges hatten Lazarette bereits Versehrtensport angeboten. Nach Kriegsende setzten Sportvereine diese Betreuung fort. Allerdings führten organisatorische Schwierigkeiten, Betreuungsmängel und mangelndes Interesse dazu, dass der Versehrtensport bis 1919 fast vollständig zum Erliegen kam. Nur wenige lokale Initiativen überdauerten die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus. Sie wurden nach 1945 zu den Grundlagen der neu gegründeten Versehrtensportvereine.

Eingliederung in NS-Organisationen

Im Jahr 1933 erfolgte die Integration verschiedener Organisationen für Menschen mit Behinderungen, darunter Berufsverbände für Sonderpädagogik und Anstaltsverbände, in Strukturen der NS-Organisationen. Einige dieser neu eingegliederten Verbände, die formal unabhängig blieben, unterstanden der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, während die Sonderpädagogen dem NS-Lehrerbund zugeordnet wurden. Beispielsweise wurden die Organisationen Gehörloser im Reichsverband der Gehörlosen Deutschlands (Regede) zusammengeführt und von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt betreut. Der Verband der Deutschen Gehörlosensportvereine hingegen verblieb als eigenständige Einheit und wurde in den Deutschen Reichsbund für Leibesübungen integriert, der 1938 zu einer abhängigen Zelle der NSDAP wurde.

An der Spitze dieser Verbände standen entweder überzeugte Nationalsozialisten oder pragmatische Opportunisten, die glaubten, durch Anpassung an das NS-Regime das Fortbestehen ihrer Organisationen sichern zu können. Selbsthilfeverbände für Menschen mit Behinderungen, die bis dahin unabhängig waren, wurden ebenfalls gleichgeschaltet und mit Nationalsozialisten oder konvertierten Opportunisten besetzt. Teil der Anpassungsstrategie an den Nationalsozialismus war der Versuch, interne Hierarchien nach Nützlichkeitskriterien zu etablieren. Dazu gehörte auch die Aufforderung an Menschen mit Behinderungen innerhalb der Verbände, sich freiwillig sterilisieren zu lassen, sowie die Abwertung von Menschen mit geistiger Behinderung bei gleichzeitiger Bevorzugung von bildungs- und arbeitsfähigen Personen.3

Nach 1933

Die Nationalsozialisten schrieben dem Sport aus ideologischen, pädagogischen und politischen Gründen große Bedeutung zu. Sport wurde in Organisationen, Schulen, der Hitlerjugend, der Deutschen Arbeitsfront, der Wehrmacht und der SS gefördert. Die Sportpolitik diente der körperlichen Disziplinierung und militärischen Unterordnung. Sie zielte auf die Stärkung der „Volkskraft“ und die Sicherung der „rassischen Reinheit“. „Arische“ Körper wurden als Symbole der Überlegenheit des nationalsozialistischen Staates präsentiert. Menschen mit Behinderungen, die den nationalsozialistischen Zielen dienlich erschienen, wurden ebenfalls zum Sport angehalten.

Verantwortliche der Behindertenverbände nutzten bestehende Strukturen des Behindertensports oder erhielten sie. Sie strebten eine Vereinheitlichung der fragmentierten und historisch gewachsenen Sportorganisationen für Menschen mit Körperbehinderungen, Kriegsverletzungen sowie Gehörlose und Blinde an. Der Behindertensport wurde jedoch meist außerhalb der regulären NS-Sportorganisationen etabliert. Die angepassten Behindertenverbände unterstützten dieses Vorgehen.

Im Nationalsozialismus galt die Wehrdiensttauglichkeit als ein vorherrschendes Argument für die sportliche Betätigung von Männern. Für gehörlose, blinde und körperbehinderte Männer entfiel der Wehrdienst größtenteils. Ihre sportliche Aktivität wurde daher mit der Verbesserung ihrer Bildungs- und Arbeitsfähigkeit gerechtfertigt. Ziel war es, sie durch Sport „gemeinschaftstüchtig“ zu machen. Dies sollte ihre Integration in den „schaffenden Volkskörper“ erleichtern und sie in die „kämpfende Gemeinschaft“ einreihen.4 Gehörlose wurden ermutigt, zum „Volksganzen“ beizutragen und wie Hörende dem Staat zu dienen. Blindenlehrer verpflichteten sich, die blinde Jugend zu „wertvollen, deutschbewussten Gliedern des Staates“ zu erziehen.

Ab 1939 führten Kriegseinberufungen zu einem Arbeitskräftemangel. Viele behinderte Menschen wurden in den Arbeitsmarkt integriert und zu höchsten Leistungen angehalten. Sport und Körpererziehung wurden systematisch eingesetzt, um Disziplin zu fördern und im Sinne des Nationalsozialismus zu sozialisieren. Rigide Körperbeherrschung diente der „Überwindung des Defekts“ und der Anerkennung als „vollwertiges Glied in der Gemeinschaft“. Ein Autor betonte 1935 in der Blindenzeitschrift „Der Weckruf“, dass Körperertüchtigung dazu beitragen solle, sich vollständig dem Führer und dem Vaterland zu widmen.

Der Behindertensport von 1933 bis 1945

Im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde die Jugend frühzeitig für die ideologische Indoktrination instrumentalisiert. Dies begann mit der systematischen Gleichschaltung von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, wie Gehörlosenanstalten und Blindenschulen. Kinder und Jugendliche, die als nicht bildungs- und arbeitsfähig galten, wurden zwangssterilisiert und in Pflegeanstalten verbracht, wo viele einem grausamen Schicksal erlagen. Im Gegensatz dazu wurden die als bildungsfähig betrachteten Kinder ab 1933 in die Hitlerjugend integriert. Für spezielle Gruppen wurden eigene Banne gegründet: 1933 der Bann B für Blinde, 1934 der Bann G für Gehörlose und 1935 der Bann K für körperbehinderte Jugendliche, wobei letzterer bereits 1937 aus noch ungeklärten Gründen aufgelöst wurde. Absolventen der Hilfsschulen, die als bildungsfähig eingestuft wurden, fanden ab 1936 Aufnahme in die reguläre Hitlerjugend. Die Angehörigen der sonderpädagogischen Einrichtungen formierten sich dabei zu eigenen HJ-Einheiten.

HJ-Banne

Die Einführung der HJ-Banne führte zu einer formalen Gleichstellung der gehörlosen, blinden und körperbehinderten Jugendlichen. Diese Gleichstellung war jedoch durch Sonderregelungen eingeschränkt. Die Struktur und Besetzung der Banne orientierte sich an der allgemeinen Hitlerjugend, allerdings waren die Führer der Banne nicht behindert. Die Pimpfenprobe, eine körperliche und ideologische Prüfung, war auch für die jüngsten Mitglieder der Hitlerjugend verpflichtend. Sie wurde jedoch an die Fähigkeiten der Jugendlichen mit Behinderungen angepasst. Die Banne hatten ein eigenes Publikationsorgan, und ihre Mitglieder trugen eine spezielle HJ-Uniform.

Diese Uniformen waren durch besondere Schulterklappen gekennzeichnet, die den Sonderstatus der Träger hervorhoben. Trotz dieser Unterschiede absolvierten die Mitglieder der Banne die gleiche Ausbildung wie die allgemeine Hitlerjugend. Dazu gehörten Aufmärsche, Fahnenweihen, Gruppenabende, Lagerfahrten sowie die Teilnahme an Bannmeisterschaften und Reichssportwettkämpfen. Oftmals fanden diese Aktivitäten gemeinsam mit der allgemeinen Hitlerjugend statt. Die Anzahl der Mitglieder in den Bannen wurde jedoch an die geringere Zahl der Jugendlichen mit Behinderungen angepasst. So zählte der Bann G landesweit etwa 6.000 Mitglieder.

Wehrsport, Geländespielen, Marschübungen

In den Bannen B, G und K umfassten die körperlichen Übungen – analog zur allgemeinen Hitlerjugend (HJ) – Disziplinen wie Wehrsport, Geländespiele, Marschübungen, Luftgewehrschießen, Leichtathletik und Turnspiele. Die Leistung ihrer Gruppen bei den regelmäßigen Bannwettkämpfen war für die Führer der Banne von großer Bedeutung. Deshalb legten sie großen Wert auf regelmäßiges und intensives Training. Gehörlose Jugendliche hatten auf speziellen Lehrgängen die Möglichkeit, die Prüfungen als Gelände- und Schießwarte zu bestehen. Sie erhielten damit die Berechtigung zur Abnahme des Leistungsabzeichens der HJ und der DJ (Deutsche Jungenschaft). Im Jahr 1935 wurde für blinde Jugendliche das Jugendsportabzeichen unter angepassten Bedingungen eingeführt. Dieses Abzeichen war für nichtbehinderte Jugendliche bereits seit 1925 zugänglich.

Jugendliche mit körperlichen Einschränkungen hatten zudem die Chance, den Leistungsschein der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) zu erwerben.5 Sie konnten sich in Lehrgängen zum Rettungsschwimmer qualifizieren. Das Versehrtensportabzeichen, eingeführt im November 1942 für Kriegsverletzte, stand auch sogenannten Zivilbeschädigten offen.6 Ab dem Jahr 1938 war es gehörlosen Jugendlichen möglich, den Reichsschwimmschein zu erwerben.

Hohe Motivation

In der Fachliteratur und den Berichten der Institutionen aus jener Zeit wird oft die hohe Motivation betont, mit der Jugendliche mit Behinderungen ihren Dienst in der Hitlerjugend (HJ) verrichteten. Sie wurden dabei den nichtbehinderten Mitgliedern gleichgestellt. Es wird behauptet, dass insbesondere Jugendliche mit körperlichen Einschränkungen in den entsprechenden Einrichtungen durch die nationalsozialistische Ideologie straffer, disziplinierter und lebensfroher wurden. Die männlichen Jugendlichen wurden im Sport besonders herausgefordert. Dies wird durch Berichte aus der Gehörlosen-HJ bestätigt, die besagen, dass Strenge angewandt und keine Schwäche toleriert wurde.

Es wurden Marschübungen mit 15 bis 20 Kilometern Gepäck durchgeführt und das Schießen mit Kleinkaliberwaffen verbessert. Ähnliche Praktiken fanden auch bei den Blinden statt, die an Sportfesten der HJ teilnahmen, wo für nationale Jugendwettbewerbe trainiert und Märsche von bis zu 42 Kilometern absolviert wurden. Der Leitspruch „Sport ist Kampf“ galt auch für sie, und es wurde betont, dass auch blinde Jugendliche kämpfen wollen. Selbst in Hilfsschulen wurden Wehrsporttage abgehalten, an denen Jungen und Mädchen teilnahmen und Disziplinen wie Turnen und Schießen ausübten.

Begeisterung für die Gleichstellung

Die scheinbare Gleichstellung löste bei vielen behinderten Jugendlichen Begeisterung aus, obwohl einige von denselben Autoritäten zur Sterilisation gezwungen wurden. Sie empfanden sich als nützlich und integriert. Das NS-Regime hingegen sah in jedem fähigen Individuum ein notwendiges Mitglied seiner „Volksgemeinschaft“. Ein blinder Zeitzeuge erinnerte sich: „Es gab vieles, was uns anzog, einschließlich Geländespielen, sportlichen Wettkämpfen und Zeltlagern. Die Verantwortlichen sparten weder Mühen noch Kosten und versorgten uns mit Uniformen. Wir fühlten uns gleichwertig mit anderen Mitgliedern der Hitlerjugend.“ Eine weitere blinde Zeitzeugin berichtete von einem jungen Mann, der mit ihnen Sport trieb, wie Hoch- und Weitsprung, und Kriegsgeschichten vorlas, was sie als das Schönste empfand. Ein anderer Zeuge erzählte, dass sie Uniformen erhielten, die sie gerne trugen, und dass ihnen Respekt entgegengebracht wurde.7

Sie spielten Geländespiele und führten manöverähnliche Aktivitäten durch. Wer sich jedoch dem System widersetzte, sah sich mit Zwangsmaßnahmen konfrontiert. Der Leiter eines Berliner Gehörlosensportvereins, ein entschiedener Befürworter der NS-Rassenideologie, beklagte sich 1937 über die Weigerung vieler Jugendlicher, der Hitlerjugend beizutreten, und drohte mit Ausschluss. Die Führer der Gehörlosenbewegung glaubten, dass die Jugendlichen in der Gehörlosen-HJ zu vorbildlichen Nationalsozialisten heranwachsen würden, was Schwierigkeiten für diejenigen bedeutete, die sich gegen die Parteidisziplin oder die Gemeinschaft stellten. Andere, die teilnahmen, hielten körperliche Übungen und Marschieren für blinde Jugendliche jedoch für unsinnig.8

Erwachsene mit Behinderungen

Im Zuge der nationalsozialistischen Herrschaft wurde die Integration von Erwachsenen mit Behinderungen in den Sportbereich, abgesehen von Personen mit Kriegsverletzungen, oft problematisch vollzogen. Im Jahr 1933 etablierte der Reichsbund der Gehörlosen Deutschlands, kurz Regede, eine verpflichtende Sportteilnahme für alle gehörlosen Mitglieder im Alter von 16 bis 25 Jahren. Diese Gruppen, bekannt als „Gehörlosen-Sportgruppen“, waren zwar organisatorisch den lokalen Regede-Gruppen zugeordnet, wurden jedoch in sporttechnischen Belangen vom Verband Deutscher Gehörlosen Turn- und Sportvereine betreut. Dieser fungierte auch als übergeordneter Verband für die bestehenden Gehörlosen-Sportvereine.

Trotz des Ziels, durch diese umfassende sportliche Erfassung eine breite Beteiligung zu erreichen, scheiterte das Vorhaben. Die Gründe dafür lagen nicht nur in den Zuständigkeitskonflikten zwischen Regede und dem Gehörlosen-Sportverband, sondern auch daran, dass es trotz intensiver Propaganda nicht gelang, über die bereits in Sportvereinen aktiven gehörlosen Athleten hinaus weitere Personen für den Sport zu gewinnen. Folglich wandelte Regede die Sportpflicht in eine Empfehlung um, wobei die konkrete Ausgestaltung den lokalen Gegebenheiten überlassen wurde.9 Die Mitgliederzahl der deutschen Gehörlosen-Sportvereine blieb mit circa 2.300 Personen auf einem Niveau, das kaum über das der Weimarer Republik hinausging. Insgesamt beteiligten sich, einschließlich der Mitglieder der Gehörlosen-HJ, lediglich etwa zehn bis 20 Prozent der gehörlosen Bevölkerung am Sportgeschehen.

Sport als wesentliches Mittel zur Überwindung von Behinderungen

Im Reichsbund für Körperbehinderte, einer Organisation für Erwachsene mit Zivil- und Unfallschäden, wurde der Sport als wesentliches Mittel zur Überwindung von Behinderungen angesehen. Die Bundeszeitung „Der Körperbehinderte“ betonte die Bedeutung der körperlichen Ertüchtigung. Sport diente nicht nur der physischen Stärkung, sondern auch der beruflichen Leistungssteigerung und politischen Bildung. Menschen mit Körperbehinderungen wurden in die Sportkurse der Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) integriert, die Teil der Deutschen Arbeitsfront war und den Betriebssport für Arbeitnehmer organisierte. Im Jahr 1942 führte ein Hinweis auf die positive Wirkung des Sports auf die Arbeitsleistung von Menschen mit Körperbehinderungen dazu, dass ein zuvor gestrichener Schwimmkurs in Essen von den Behörden wieder eingeführt wurde.

Viele Mitglieder des Reichsbundes nahmen an Schwimmkursen teil, die von qualifizierten Lehrkräften geleitet wurden. Diese erhielten ihre Ausbildung unter anderem in der Sportheilstätte Hohenlychen, die später ein SS-Sanatorium beherbergte.10 Die Leitung hatte SS-Gruppenführer und Chirurg Professor Karl Gebhardt inne, der nach dem Krieg für seine Verbrechen im Konzentrationslager Ravensbrück hingerichtet wurde. Gebhardt hatte bereits 1939 begonnen, in Hohenlychen Sport für Kriegsversehrte anzubieten.

Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung (NSKOV)

Im Jahr 1933 wurden die zahlreichen, noch lebenden Veteranen des Ersten Weltkriegs, die kriegsbedingte Verletzungen erlitten hatten, zur Teilnahme an sportlichen Aktivitäten ermutigt. Viele dieser Veteranen schlossen sich Sportgruppen an, die hauptsächlich mit der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung (NSKOV) verbunden waren. Die NSKOV verfolgte unter anderem das Ziel, die Kriegsopfer konsequent zu mobilisieren und zu militarisieren. Eine ihrer ersten Initiativen war es, die älter gewordenen Veteranen dazu aufzufordern, eigene Marsch- und Schützengruppen zu gründen und an paramilitärischen Übungen sowie Wehrsport teilzunehmen. In einigen Städten scheint die Gründung solcher Sportgruppen tatsächlich stattgefunden zu haben.

Beispielsweise in Berlin im Jahr 1934, wo zahlreiche kriegsversehrte „Sportkameraden“ das Sportabzeichen der SA (Sturmabteilung der NSDAP) erwarben. In Karlsruhe und Leipzig existierten ähnliche Versehrtensportgruppen, die bis zum Ende des Krieges aktiv waren und nach 1945 die Bildung neuer lokaler Versehrtensportgruppen anregten. Diese Gruppen existieren, wenn auch in veränderter Form, noch heute. Zusätzlich gab es Sportgruppen für die Beschädigten des Ersten Weltkriegs, die beispielsweise in Hamburg von der örtlichen DLRG ins Leben gerufen wurden. Die Mitglieder dieser Gruppen widmeten sich hauptsächlich dem Schwimmen und anderen Wassersportarten.11

Totale Mobilmachung

Im Rahmen der totalen Mobilmachung strebten die Nationalsozialisten danach, Kriegsversehrte des Zweiten Weltkriegs wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren. Ziel war es, sie entweder beruflich einzugliedern oder sie zumindest als Ausbilder an der Front zu nutzen. Dies betraf insbesondere die Führungskräfte der SS, die Schutzstaffel. Ab dem Jahr 1939, mit verstärktem Einsatz ab 1942, erfolgte eine systematische Umschulung von Sportlehrern für den Versehrtensport. Diese Lehrer arbeiteten gemeinsam mit Krankengymnasten, Gymnastiklehrerinnen und Übungsleitern. Auch kriegsversehrte ehemalige Sportler wurden rekrutiert. Sie alle wurden in Lazarette entsandt, um die Rehabilitation verwundeter Soldaten zu unterstützen und zu beschleunigen.

Innerhalb der SS fand ebenfalls Versehrtensport statt. Um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen und Kriegsversehrte zu regelmäßigem Training zu motivieren, wurde 1942 das Reichsversehrtensportabzeichen ins Leben gerufen. Dieses Abzeichen war sowohl für Kriegsversehrte als auch für Männer mit anderen Arten von Körperbehinderungen gedacht und galt als schwer erreichbare Auszeichnung. Die erforderlichen Prüfungen für das Abzeichen konnten an verschiedenen Orten absolviert werden. Dazu zählten Lazarette, Sportvereine, sportwissenschaftliche Institute der Universitäten, SS-Junkerschulen und HJ-Ordensburgen. Bis zum März 1945 hatten über 10.000 Kriegsversehrte und andere Menschen mit Körperbehinderungen dieses Abzeichen erworben.12

Fazit

Im Kontext des Nationalsozialismus präsentierte sich der Behindertensport als ein facettenreiches Phänomen. Verschiedenartige Gruppierungen, jede mit eigener Herkunft und einem individuellen Werdegang, bildeten das Fundament dieser Bewegung. Trotz der Diversität dieser Gruppen, fanden sich übereinstimmende Beweggründe sowohl aufseiten des Staates als auch bei den Menschen mit Behinderungen. Diese strebten danach, ihre Gleichwertigkeit und ihren Nutzen für die Gesellschaft zu demonstrieren, was teilweise auch einem Selbstschutzgedanken entsprang. Konträr dazu stand die Haltung der Nationalsozialisten, die Personen, die sie als erbgesund und nützlich erachteten, durch sportliche und rehabilitative Maßnahmen in den Arbeitsmarkt integrierten. Dadurch schienen sie eine Aufwertung dieser Menschen zu bewirken. Selbstzeugnisse legen nahe, dass einige Menschen mit Behinderungen sich durchaus anerkannt und gleichgestellt fühlten. Diese Wahrnehmung war jedoch nicht bei jenen vorhanden, die eine grundsätzliche kritische Einstellung zum Nationalsozialismus hatten.

Die Trennung in separate Gruppen durch spezifische Kennzeichnungen schuf eine deutliche Distanz zu Menschen ohne Behinderungen. Trotzdem bewerteten viele die Sportinitiativen des Nationalsozialismus als selbstwertfördernd. Das Urteil darüber ist jedoch ambivalent. Der Behindertensport im Nationalsozialismus eröffnete den als nützlich angesehenen Personen tatsächlich individuelle Freiräume. Dennoch war er Teil der nationalsozialistischen Ausgrenzungspolitik. Diese Politik wirkte sich auch auf die Zukunft aus. Die nach dem Krieg gegründeten Versehrtensportvereine und Landesverbände, die seit 1951 im Deutschen Versehrtensportverband organisiert sind13, wurden hauptsächlich von einer Generation gegründet, die im Nationalsozialismus sozialisiert wurde. Viele hatten bereits während des Nationalsozialismus Versehrtensport betrieben, darunter zahlreiche ehemalige SS-Angehörige.14 Erst allmählich und unter erheblichem Druck entwickelte sich der von traditionellen Kräften dominierte Kriegsversehrtensportverband zu einem Behindertensportverband. Heute vertritt dieser Verband viele sportaktive Menschen mit Behinderungen und ist ein anerkannter Partner im Deutschen Olympischen Sportbund.


Fußnoten

  1. Vgl. die in der Literatur stark schwankenden Zahlenangaben nach Petra Fuchs: „Körperbehinderte“ zwischen Selbstaufgabe und Emanzipation. Selbsthilfe – Integration – Aussonderung, Neuwied/Kriftel/Berlin 2001, 27f. ↩︎
  2. Konrad Biesalski: Zeitgemäße Krüppelfürsorge, Leipzig 1925, 74; vgl. auch die Abbildungen bei Eva Brinkschulte: Tradition mit Zukunft. 85 Jahre Oskar-Helene-Heim, Berlin 1999, 50. ↩︎
  3. Malin Büttner: Nicht minderwertig, sondern mindersinnig… Der Bann G für Gehörgeschädigte in der Hitlerjugend, Frankfurt a.M. 2005, 53f. ↩︎
  4. Völkischer Beobachter, Nr. 193 vom 11.7.1936, zitiert in Lothar Scharf: Taubstumme in der Hitlerjugend? Fridolin W. erzählt, Heusenstamm 2006, 22. ↩︎
  5. Deutsche Turnzeitung, Beilage NS-Sport (1943), H. 13, 1 ↩︎
  6. Hans Ritter von Lex: Das Reichssportabzeichen und das Versehrtensportabzeichen, Kassel 1943. ↩︎
  7. So die blinde Zeitzeugin Frau St. und der blinde Zeitzeuge Herr J., zitiert in Drave (1996), 130 und 135. ↩︎
  8. So der blinde Zeitzeuge Herr Schlüter, zitiert in Drave (1996), 393 ↩︎
  9. Vgl. dazu Deutsche Taubstummen-Sport-Zeitung, Nr. 18 vom 1.12.1933, (nicht paginiert) sowie Deutsche Gehörlosen Sportzeitung vom Januar 1943, (nicht paginiert). ↩︎
  10. Vgl. Fuchs (2001), 207f. und 210f. ↩︎
  11. Vgl. Leibesübungen und körperliche Erziehung 58 (1939), 126-129; Behindertensport (1982), H. 7, 147 ↩︎
  12. Vgl. zu den Bedingungen insgesamt Lex (1944) sowie zu den Zahlen Buschmann/Lennartz (1988), 61. ↩︎
  13. Der Versehrtensportverband fungiert heute als Deutscher Behindertensportverband (DBS) und vertritt mittlerweile über 450.000 Mitglieder. ↩︎
  14. Vgl. als Beispiel für diese Entwicklung Wedemeyer-Kolwe (2007). ↩︎
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