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Special zu den Paralympics: Die Geschichte der Spiele

Lesedauer 6 Minuten

Bremen, 24.08.2024 (fs) – Nächste Woche findet in Paris, der Hauptstadt Frankreichs, die Eröffnung der siebzehnten Paralympischen Sommerspiele statt. Diese Spiele, bekannt für ihre bemerkenswerte Historie, sind eng mit dem Lebenswerk eines jüdischen Arztes verknüpft. Trotz vielfältiger Widrigkeiten setzte er seine bahnbrechende Vision in die Tat um. Diese Geschichte spiegelt den unerschütterlichen Willen der Para-Athleten wider, die mit ähnlicher Entschlossenheit an den Wettkämpfen teilnehmen.

Anfang des 20. Jahrhunderts begann ein junger Arzt sein Praktikum in einem Harzer Krankenhaus. Diese Region war bekannt für ihren intensiven Kohlebergbau. Die Aufnahme eines Bergmanns mit gravierenden Rückenverletzungen stellte eine einschneidende Erfahrung dar. Der junge Mediziner wollte den Zustand des Patienten dokumentieren. Doch man riet ihm davon ab, da keine Hoffnung auf Genesung bestand. Nach fünf Wochen erlag der Bergarbeiter den Folgen seines Nierenversagens und des Wundfiebers. Dieses Schicksal prägte Ludwig Guttmann nachhaltig.

Guttmann: Vor den Nazis geflohen, um dann Parasport Pionier zu werden

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs musste Guttmann, ein Jude, vor den Nationalsozialisten fliehen. Er fand in Großbritannien Zuflucht. Dort gründete er in Stoke Mandeville, nahe London, ein Zentrum für die Behandlung von Rückenmarksverletzungen. Guttmann, ein wahrer Pionier, vertrat die innovative Ansicht, dass Sport zur Rehabilitation von Querschnittsgelähmten beitragen kann. Diese Ansicht wurde von Gudrun Doll-Tepper, einer renommierten Sportwissenschaftlerin aus Berlin, bestätigt. Sie betonte die Bedeutung von Guttmanns Arbeit für die Rehabilitationsmedizin.

Obwohl er auf den Widerstand seiner Kollegen stieß, ließ sich Guttmann nicht beirren. Im Jahr 1948 rief er die Stoke Mandeville Games ins Leben, die als erste paralympische Sportveranstaltung in die Geschichte eingingen. Anfangs waren es sportliche Wettkämpfe für kriegsversehrte Veteranen im Rollstuhl, bei denen Disziplinen wie Boccia gespielt wurden, jedoch ohne Ausdauerübungen. Schon damals hegte Guttmann den Wunsch, dass seine Spiele eines Tages ebenso bedeutend sein sollten wie die Olympischen Spiele. Aus diesem Grund legte er den Beginn der Mandeville Games auf denselben Tag, an dem die Olympischen Spiele in London starteten.

1960: Die ersten paralympischen Spiele in Rom

Das Jahr 1960 ging als Meilenstein in die Geschichte ein, als das Olympiastadion in Rom die ersten Paralympischen Spiele ausrichtete. Unter der visionären Führung von Sir Ludwig Guttmann demonstrierten Athleten mit Behinderungen ihre beeindruckende Entschlossenheit und ihren sportlichen Ehrgeiz. Obwohl die Infrastruktur damals noch nicht auf die Bedürfnisse behinderter Menschen ausgerichtet war, offenbarten die Spiele signifikante Fortschritte in den Trainingsmethoden. Sie lenkten zudem die Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit des Parasports. Guttmanns unermüdlicher Einsatz für mediale Präsenz, unterstrichen durch eine Audienz bei Papst Johannes XXIII., war entscheidend für die Entwicklung der Paralympischen Bewegung.

Im Jahre 1966 verlieh Königin Elisabeth II. Guttmann eine bedeutende Anerkennung. Sie schlug ihn zum Ritter, woraufhin er den ehrenvollen Titel „Sir“ führen durfte. Seine Hingabe an den Sport für Menschen mit Querschnittslähmung blieb ungebrochen. Doch das Interesse an diesem Bereich des Sports nahm zu und erweiterte sich bald auf eine größere Gemeinschaft. Infolgedessen kam es zur Gründung neuer und zur Umbenennung bestehender Organisationen, die sich dem Behindertensport verschrieben hatten. Dies geschah sowohl in Westdeutschland als auch in der DDR. Der rehabilitative Wert des Sports war dabei immer ein zentraler Punkt, betont Doll-Tepper.

Der Wandel beginnt in den 1980er Jahren

Die 1980er Jahre brachten einen signifikanten Wandel, als die Vision, die besten Para-Athleten der Welt in Paralympischen Spielen zu vereinen, zunehmend Zuspruch fand. Technologische Fortschritte führten zu verbesserten Sportgeräten und angepassten Prothesen, die den spezifischen Anforderungen der Athleten gerecht wurden. Die Bewegung erweiterte sich um Organisationen für Menschen mit Sehbehinderungen und geistigen Behinderungen, was die inklusive Natur des Parasports unterstrich. Ein weiterer Meilenstein wurde 1976 erreicht, als in Schweden die ersten Paralympischen Winterspiele ausgetragen wurden, ein Ereignis, das die globale Reichweite und den Einfluss der Paralympischen Bewegung demonstrierte.

Gudrun Doll-Tepper setzte sich intensiv für den Behindertensport ein. Sie warb für den Weltkongress für Behindertensport, der im Juni 1989 in Berlin stattfand. Nach diesem Ereignis pflegte sie enge Beziehungen zum Internationalen Paralympischen Komitee, das im September desselben Jahres ins Leben gerufen wurde. Als Funktionärin trug sie maßgeblich zur Entwicklung des paralympischen Sports bei. Sie stellte wichtige Fragen zur wissenschaftlichen Unterstützung und Talentförderung im Behindertensport. In den Jahren danach wurden bedeutende Fortschritte erzielt. Unternehmen unterstützten die Herstellung von Sportprothesen und Rollstühlen, wodurch die Leistung der Para-Athleten weltweit verbessert wurde.

Der Wendepunkt Barcelona

Die Paralympischen Spiele erlebten 1992 in Barcelona einen Wendepunkt. Das öffentliche Interesse an diesen Ereignissen war beispiellos, und die Besucherzahlen stiegen sprunghaft an. Doll-Tepper erinnert sich an überfüllte Stadien, wo Zuschauer warten mussten, bis jemand das Gelände verließ, um Einlass zu finden. Mehr als 3.000 Athleten aus 82 Ländern nahmen teil und wetteiferten in 15 Sportarten um Medaillen. Deutschland erzielte einen herausragenden zweiten Platz im Medaillenspiegel, dicht gefolgt von den USA.

Der Erfolg der deutschen Mannschaft spiegelte die verbesserte Unterstützung und Professionalisierung des Para-Sports in Deutschland wider. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Förderung weiter ausgebaut. Paralympische Athleten haben nun die Möglichkeit, an Olympiastützpunkten zu trainieren. Erst 2017 erhielt das Bundesleistungszentrum in Kienbaum offiziell den Titel „Olympischer und Paralympischer Stützpunkt für Deutschland“.

Erkennung und Förderung von Talenten wird entscheidend sein

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass in die frühzeitige Erkennung und Förderung von Talenten verstärkt investiert wird. Dies ist eine Notwendigkeit für die Zukunft, wie von Doll-Tepper hervorgehoben. Nationen wie die Vereinigten Staaten, Kanada, das Vereinigte Königreich und Frankreich haben bereits Fortschritte in diesem Bereich erzielt. Die Berücksichtigung verschiedener Arten von Behinderungen ist dabei unerlässlich. Der Schwerpunkt sollte sich nicht ausschließlich auf die schulische Förderung beschränken, sondern auch die klinische Rehabilitation einbeziehen. Ein vorbildliches Programm für die frühe Unterstützung ist „Jugend trainiert“, das seit 2013 auch paralympischen Sportarten besondere Aufmerksamkeit widmet. Jährlich beteiligen sich 800.000 Schüler an diesem Programm.

Die gesellschaftliche Anerkennung von Para-Sportlern hat sich laut Doll-Tepper signifikant verbessert, dennoch besteht weiterhin Handlungsbedarf. Es wäre für die Zukunft von großer Bedeutung, dass Para-Sport auch außerhalb der Paralympischen Spiele mehr öffentliche Beachtung findet. Markus Rehm, ein herausragender Weitspringer, der bereits viermal Paralympics-Gold errungen hat, ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Sein Weltrekord von 8,72 Metern liegt nur knapp unter dem des nichtbehinderten Weitspringers Mike Powell, der 1991 eine Weite von 8,95 Metern erreichte. Rehm hat kürzlich seine Überlegungen zu einer Teilnahme an den Olympischen Spielen öffentlich gemacht, obwohl dieses Vorhaben nach wie vor als komplex gilt, so Doll-Tepper. Insbesondere die Vergleichbarkeit der Leistungen von Athleten mit und ohne Prothesen könnte Herausforderungen mit sich bringen.

Oscar Pistorius, der südafrikanische Sprinter, war der einzige Athlet, der an beiden Wettbewerben, den Olympischen und den Paralympischen Spielen, teilgenommen hat. Die Paralympischen Spiele besitzen ein einzigartiges Merkmal, das es zu bewahren gilt, trotz der Tatsache, dass es mittlerweile nur noch ein gemeinsames Organisationskomitee für beide Veranstaltungen gibt, betont Doll-Tepper. Eine Annäherung zwischen den beiden Ereignissen hat bereits stattgefunden. Doll-Tepper äußert sich rückblickend: „Als ich die Paralympics zum ersten Mal erlebt habe, hätte ich mir nie vorstellen können, wie sich das entwickeln würde.“

4.400 Athleten in Paris

Die 17. Paralympischen Sommerspiele werden ab diesem Mittwoch in Paris ausgetragen. Gudrun Doll-Tepper, die bereits erfahrene Teilnehmerin, zeigt sich begeistert von der Vielfalt, die diese Spiele bieten. In diesem Jahr konkurrieren über 4.400 Sportlerinnen und Sportler in 22 Sportarten um die begehrten Medaillen. Zu den Disziplinen zählen Boccia, Rollstuhlrugby, Blindenfußball und Para-Dressur. Bei der Para-Dressur wird Doll-Tepper die Ehre zuteil, die Medaillen zu verleihen. Sie äußert sich dazu: „Das sind für mich ganz besondere Momente, bei denen ich mich auf die Begegnung mit den Athletinnen und Athleten aus aller Welt freue.“

Der Weitspringer Markus Rehm hat sein Ziel bekannt gegeben, in seinem Wettkampf die Neun-Meter-Marke zu übertreffen. Sollte ihm dieser herausragende Sprung gelingen, würde er als erster Mensch diese Distanz überwinden. Seine Leistung wäre ein historischer Meilenstein, unabhängig von seiner Behinderung. Ein solcher Erfolg würde die Grenzen des Möglichen im Sport neu definieren und könnte als Inspiration für Athleten weltweit dienen.


Titelbild: Australian Paralympic CommitteeXx0876 – Eric Russell with Ludwig Guttmann at 1976 Paralympics – 3b – ScanCC BY-SA 3.0

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