Bremen, 22.08.2024 (fs) – Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele wurden zahlreiche Zusagen für verbesserte Barrierefreiheit gemacht, jedoch bleibt die Realisierung hinter den Erwartungen zurück. Das Pariser Metronetz, eines der ältesten weltweit, umfasst Linien, die seit über einem Jahrhundert in Betrieb sind. Häufig gelangt man über steile Treppen zu den Bahnsteigen, während Aufzüge und Rampen Mangelware sind. Lediglich die neu eingeführte Linie 14 ist vollständig barrierefrei gestaltet.
Die 17. Sommer-Paralympics starten nächsten Mittwoch in Paris mit etwa 4400 Athletinnen und Athleten. Traditionsgemäß führen diese Weltspiele des Behindertensports in den Austragungsorten zu intensiven Diskussionen über Barrierefreiheit und Inklusion. In Frankreich leben zwölf Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen, was etwa 17 Prozent der Bevölkerung entspricht. Die Frage steht im Raum, welche Impulse die Paralympics setzen können.
Als Vizepräsident des Verbandes APF France Handicap setzt sich Rollstuhltennisspieler Serge Mabilly für die Rechte behinderter Menschen ein. Mit den Paralympics in Paris verband Mabilly große Hoffnungen. Immerhin versprachen die Veranstalter während der Bewerbungsphase Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro, beispielsweise für Rampen, rollstuhlgerechte Busse und Navigationssysteme. Mabilly kritisierte gestern in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau: „Paris ist wie ein Hindernisparcours für behinderte Menschen“.
Lange Wege für Rollstuhlfahrer*innen
Nichtregierungsorganisationen wie APF France Handicap kritisieren jedoch die schleppende und wenig ambitionierte Umsetzung dieser Vorhaben. Einige protestierten bereits gegen die Organisatoren der Paralympischen Spiele. Es besteht die Möglichkeit, dass es während der Spiele zu weiteren Protestaktionen kommt. Für Distanzen, die ohne Rollstuhl in zehn Minuten zurückgelegt werden, werden 40 Minuten benötigt. Nicht selten ist es unmöglich, den Bus zu nutzen, sei es, weil dieser bereits voll ist, nicht korrekt parken konnte oder die Einstiegsrampe defekt ist. Jede Fahrt muss sorgfältig geplant werden.
Die vollständige Barrierefreiheit der historischen Metro mag eine Herausforderung darstellen, doch die Verantwortlichen planen, die Verfügbarkeit behindertengerechter Verkehrsmittel zu erhöhen. Es ist vorgesehen, dass Schlaglöcher repariert und Bordsteinkanten abgesenkt werden, um die Zugänglichkeit der Bürgersteige zu verbessern. Während der Paralympischen Spiele ist geplant, dass an wichtigen Bahnhöfen Shuttlebusse bereitstehen, wobei eine vorherige Reservierung erforderlich ist.
Die Athletinnen und Athleten sollen von diesen infrastrukturellen Problemen weitestgehend verschont bleiben. Sie werden im Olympischen Dorf in Saint-Denis untergebracht, einem neu entstehenden Stadtteil im Norden von Paris. Jede Wohnung im Dorf verfügt über barrierefreie Badezimmer, wie Karl Quade, der Chef de Mission der deutschen Paralympics-Delegation, berichtet. Diese Wohnungen sollen nach den Spielen langfristig Menschen mit Behinderungen zur Verfügung stehen.
Weitere Initiativen angekündigt
Zusätzlich haben die französischen Behörden im Kontext der Paralympischen Spiele weitere Initiativen angekündigt. Ziel ist es, öffentliche Dienstleistungen in Paris für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen besser zugänglich zu machen und das Bildungssystem zu stärken. Andrew Parsons, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, verkündet das Ziel, bis 2030 in Paris mindestens eine barrierefreie Schule innerhalb von maximal 15 Minuten erreichbar zu machen. Die Paralympischen Spiele sollen als Katalysator für positive Veränderungen in der Stadt dienen.
Die Entwicklung der Spiele zu ihrer heutigen Bedeutung war ein langwieriger Prozess. Nach den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta wurden viele Sportstätten abgebaut, was dazu führte, dass die Paralympics teilweise in unzureichenden Bedingungen stattfinden mussten. Bei den Paralympischen Spielen 2008 in Peking wurden erstmals behinderte Menschen im Fernsehen präsentiert, doch die Ausgrenzung besteht in China weiterhin. Positiv zu vermerken ist, dass nach den Spielen in London 2012 eine Studie belegt, dass ein Drittel der Briten ihre Einstellung zu Behinderungen zum Positiven verändert hat.
Bewusstsein muss geschaffen werden
Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro verabschiedete die brasilianische Regierung ein Gesetz zur Bekämpfung von Diskriminierung. Dies führte zu einem signifikanten Anstieg der Beschäftigungsrate von Menschen mit Behinderungen um fünfzig Prozent im Vergleich zum Jahr 2009, dem Jahr, in dem Rio den Zuschlag für die Austragung der Spiele erhielt. Dennoch ist es für viele behinderte Menschen in den Favelas bis heute eine Herausforderung, ihre Wohnungen zu verlassen.
Andrew Parsons, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, betont, dass die Paralympischen Spiele lediglich einen Impuls für langfristige Entwicklungen setzen können, die sich über Jahrzehnte erstrecken. So war Tokio bereits vor den Paralympischen Spielen 2021 eine Stadt mit vergleichsweise wenigen Barrieren im öffentlichen Nahverkehr. Trotzdem waren Menschen mit Behinderungen im Stadtbild selten anzutreffen. Parsons erläutert, dass in Japan die Ansicht vorherrschte, behinderte Menschen bedürften eines besonderen Schutzes. Er widerspricht dieser Auffassung und argumentiert, dass Menschen mit Behinderungen vielmehr Chancen benötigen, um sich entfalten zu können. Er ist der Überzeugung, dass die Paralympischen Spiele einen Wandel in der japanischen Gesellschaft bewirkt haben.
Perspektive 2040
Die Paralympischen Spiele wurden in Deutschland bisher einmal ausgetragen, und zwar 1972 in Heidelberg. München, die Stadt der Olympischen Spiele, entschied sich gegen eine Umgestaltung des Athletendorfes, um die Wohnungen stattdessen frühzeitig an zahlende Mieter zu vergeben. Mehr als ein halbes Jahrhundert später streben deutsche Sportverbände eine erneute Bewerbung für die Olympischen Spiele an. Die Frage, welchen Nutzen die Gesellschaft aus den Paralympischen Spielen ziehen könnte, bleibt jedoch bestehen. Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, weist auf die mangelnde Barrierefreiheit von Sportstätten, Schwimmbädern und Schulen in Deutschland hin. Er merkt an, dass auch ein Defizit an barrierefreien Hotelzimmern in vielen Städten besteht.
Eine realistische Perspektive für die Austragung Olympischer sowie Paralympischer Spiele in Deutschland zeichnet sich frühestens für das Jahr 2040 ab. In der Phase der Bewerbung könnten jedoch bereits relevante Themen in den Vordergrund treten. Hierzu zählen der Mangel an Lehrkräften sowie die bisweilen unzureichende Kooperation zwischen olympischen und paralympischen Sportvereinen. Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, betont die Notwendigkeit, über den Leistungssport hinauszudenken. Er verweist darauf, dass Menschen mit Behinderungen signifikant seltener Sport treiben als Menschen ohne Behinderungen. Zudem haben viele Rehasportvereine während der Pandemie Mitglieder verloren. Die Paralympischen Spiele könnten somit eine bedeutende Diskussion über Inklusion und Sportförderung in Deutschland entfachen.