Bremen, 27.08.2024 (fs) – Ungefähr 1,3 Milliarden Menschen weltweit sind von signifikanten Behinderungen betroffen. Dies entspricht 16 Prozent der globalen Bevölkerung, was bedeutet, dass jeder sechste Mensch betroffen ist. Es ist dokumentiert, dass einige Menschen mit Behinderungen eine um bis zu zwei Jahrzehnte reduzierte Lebenserwartung haben im Vergleich zu nicht behinderten Menschen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen mit Behinderungen an Erkrankungen wie Depression, Asthma, Diabetes, Schlaganfall, Adipositas oder schlechter Zahnhygiene leiden, ist um ein Vielfaches erhöht. Sie stehen vor vielfältigen Herausforderungen im Gesundheitswesen, die durch eine Reihe von Ungleichheiten gekennzeichnet sind.
Die Inanspruchnahme von Transportmitteln, die entweder physisch unzugänglich oder finanziell unerschwinglich sind, gestaltet sich für Menschen mit Behinderungen um ein Fünfzehnfaches schwieriger als für ihre nicht behinderten Mitmenschen. Diese gesundheitlichen Disparitäten resultieren aus einer Reihe von ungerechten Bedingungen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind. Zu diesen Bedingungen gehören Stigmatisierung und Diskriminierung, aber auch sozioökonomische Faktoren wie Armut sowie der Ausschluss von Bildung und Beschäftigung. Zusätzlich stellen Barrieren innerhalb des Gesundheitssystems selbst ein ernsthaftes Hindernis dar.
Ein kurzer Überblick
Behinderung bildet einen wesentlichen Aspekt der menschlichen Kondition und ist tief in der menschlichen Erfahrung verwurzelt. Sie entsteht durch das komplexe Wechselspiel zwischen verschiedenen Gesundheitszuständen – wie beispielsweise Demenz, Blindheit oder Rückenmarksverletzungen – und einer Vielzahl von Umwelt- und persönlichen Faktoren. Aktuellen Schätzungen zufolge leben weltweit etwa 1,3 Milliarden Menschen, das entspricht 16 % der globalen Bevölkerung, mit einer signifikanten Behinderung. Diese Anzahl nimmt stetig zu, was auf die steigende Prävalenz nichtübertragbarer Erkrankungen und die zunehmende Lebenserwartung zurückzuführen ist.
Die Gruppe der Menschen mit Behinderungen zeichnet sich durch ihre Diversität aus. Verschiedene Faktoren wie Geschlecht, Lebensalter, Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung, Glaubensrichtung, ethnische Herkunft sowie sozioökonomischer Status prägen ihre individuellen Lebenswege und gesundheitlichen Bedürfnisse. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sind Menschen mit Behinderungen häufiger von einem früheren Tod, schlechterer Gesundheit und größeren Einschränkungen im täglichen Leben betroffen.
Wie Gesundheitsungleichheiten entstehen
Gesundheitliche Ungleichheit resultiert aus den ungerechten Umständen, denen Menschen mit Behinderungen oft ausgesetzt sind. Diese Bedingungen beeinträchtigen ihre Lebensqualität und den Zugang zu notwendigen Ressourcen. Es ist entscheidend, dass solche Disparitäten erkannt und angegangen werden, um Chancengleichheit im Gesundheitswesen zu gewährleisten.
Strukturelle Faktoren
Strukturelle Faktoren beeinflussen das Leben von Menschen mit Behinderungen erheblich. Häufig sind sie Ableismus, Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt. Diese Erfahrungen können sich negativ auf ihre physische und psychische Gesundheit auswirken. Zudem können gesetzliche Regelungen ihnen grundlegende Rechte absprechen. Dazu gehört das Recht, eigene Entscheidungen zu treffen. Im Gesundheitswesen sind sie manchmal schädlichen Praktiken ausgeliefert. Beispiele hierfür sind Zwangssterilisationen, unfreiwillige Einweisungen und Behandlungen sowie die Institutionalisierung.
Soziale Faktoren der Gesundheit
Soziale Faktoren beeinflussen maßgeblich die Gesundheit. Armut, Bildungsmangel und prekäre Wohnverhältnisse können das Risiko für schlechte Gesundheitszustände erhöhen. Menschen mit Behinderungen sind oft besonders betroffen. Sie benötigen häufig Unterstützung durch Familienangehörige, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Dies stellt nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für ihre Pflegenden, oft Frauen und Mädchen, eine zusätzliche Belastung dar. Formelle soziale Hilfesysteme weisen Defizite auf. Diese Lücken zwingen Menschen mit Behinderungen, sich auf ihr persönliches Umfeld zu verlassen. Dadurch entsteht eine doppelte Benachteiligung, die sowohl die Betroffenen als auch ihre Unterstützer betrifft.
Risikofaktoren
Menschen mit Behinderungen sind häufiger bestimmten Risikofaktoren ausgesetzt, die das Auftreten von nicht übertragbaren Krankheiten begünstigen. Zu diesen Risikofaktoren zählen unter anderem der Konsum von Tabak und Alkohol, eine unausgewogene Ernährung sowie ein Mangel an körperlicher Aktivität. Ein wesentlicher Grund für diese erhöhte Anfälligkeit ist die Tatsache, dass diese Bevölkerungsgruppe in der Regel bei der Planung und Umsetzung öffentlicher Gesundheitsinitiativen nicht ausreichend berücksichtigt wird. Dies führt dazu, dass präventive Maßnahmen und Informationskampagnen sie oft nicht erreichen, was ihre Gesundheitsrisiken weiter erhöht.
Gesundheitssystem
Im Gesundheitswesen stoßen Menschen mit Behinderungen auf vielfältige Hindernisse. Unzureichendes Wissen und diskriminierende Haltungen des Fachpersonals, mangelnde Zugänglichkeit von Einrichtungen und Informationen sowie das Fehlen adäquater Daten und Analysen bezüglich Behinderungen verstärken die gesundheitlichen Benachteiligungen dieser Bevölkerungsgruppe. Solche Barrieren tragen dazu bei, dass Menschen mit Behinderungen nicht die gleiche Qualität an Gesundheitsversorgung erhalten, die für alle zugänglich sein sollte.
Die internationalen Rahmenbedingungen
Internationales Menschenrechtsrecht verpflichtet Staaten, gesundheitliche Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen. Dies gilt auch für nationales Recht. Zwei zentrale internationale Rahmenwerke befassen sich mit der gesundheitlichen Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bindet die Unterzeichnerstaaten. Sie müssen gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen den gleichen Zugang zu Gesundheitsdiensten erhalten. Diese sollen kostenfrei oder erschwinglich sein und denselben Qualitäts- und Standardansprüchen genügen wie für andere Bürger.
Die Resolution WHA74.8 der Weltgesundheitsversammlung setzt sich für den höchstmöglichen Gesundheitsstandard für Menschen mit Behinderungen ein. Sie appelliert an die Mitgliedstaaten, effektive Gesundheitsdienste im Rahmen einer allgemeinen Krankenversicherung bereitzustellen. Menschen mit Behinderungen sollen in Notfällen gleichberechtigten Schutz erhalten. Zudem sollen sie gleichen Zugang zu sektorübergreifenden öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen haben. Diese Bestimmungen sind entscheidend, um eine inklusive Gesellschaft zu fördern, in der alle Menschen unabhängig von ihren Fähigkeiten gleichberechtigt leben können.
Gesundheit muss für alle erreichbar sein
Die Integration von Menschen mit Behinderungen spielt eine zentrale Rolle bei der Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und globaler Gesundheitsinitiativen. Nur so lässt sich das Ziel, Gesundheit für alle zu gewährleisten, erreichen. Ohne die Einbeziehung dieser Personengruppe in die allgemeine Krankenversicherung ist das Erreichen einer umfassenden Gesundheitsversorgung nicht möglich. Menschen mit Behinderungen müssen Zugang zu denselben qualitativ hochwertigen Gesundheitsdiensten haben wie andere Bürger. Investitionen in die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen sind nicht nur für die Betroffenen selbst von Vorteil. Sie tragen auch zum Wohl der gesamten Gemeinschaft bei. Studien zeigen, dass jeder in die Gesundheitsvorsorge und Behandlung von nichtübertragbaren Krankheiten investierte Dollar das Potenzial hat, die neunfache Summe an gesellschaftlichem Nutzen zu generieren.
Es ist unerlässlich, dass Menschen mit Behinderungen in Präventionsmaßnahmen und Notfallreaktionen einbezogen werden. Sie sind wahrscheinlicher von Gesundheitskrisen betroffen, sowohl direkt als auch indirekt. Die COVID-19-Pandemie hat die Schwachstellen dieses Systems aufgezeigt. Menschen mit Behinderungen, die in spezialisierten Einrichtungen leben, wurden oft isoliert. Es kam zu Berichten über Übermedikation, Sedierung oder sogar Einsperrung von Bewohnern. Darüber hinaus gibt es Fälle von Selbstverletzung.1 Die Pandemie hat auch eine erhöhte Sterblichkeitsrate unter Menschen mit geistigen Behinderungen offenbart.2 Zudem erhalten sie seltener die notwendige intensivmedizinische Betreuung.3 Diese Erkenntnisse unterstreichen die Dringlichkeit, Menschen mit Behinderungen in alle Aspekte der Gesundheitsversorgung einzubeziehen. Nur so kann eine inklusive Gesellschaft geschaffen werden, die niemanden zurücklässt.
Die Erfordernisse der Förderung
Eine gesündere Bevölkerung zu fördern, erfordert saubere Luft und Wasser, Verkehrssicherheit, angemessene Kinderernährung sowie Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen. Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn die öffentlichen Gesundheitsinitiativen die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen einbeziehen. Frauen mit Behinderungen erleben häusliche Gewalt zwei- bis viermal häufiger als nichtbehinderte Frauen.4 Dies zeigt die Dringlichkeit, ihre Situation in den Fokus zu rücken.
Der WHO-Bericht zur gesundheitlichen Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen empfiehlt 40 Schlüsselaktionen. Diese sollen Ländern helfen, ihre Gesundheitssysteme zu verbessern und Ungleichheiten zu beseitigen. Regierungen und Gesundheitspartner sollten drei Schritte beachten. Erstens ist die Berücksichtigung der Chancengleichheit bei allen Gesundheitsmaßnahmen essentiell. Zweitens ist die Einbindung von Menschen mit Behinderungen in Entscheidungsprozesse wichtig. Drittens ist es notwendig, die Erreichbarkeit und den Nutzen der Gesundheitsmaßnahmen für Menschen mit Behinderungen zu überwachen.
Reaktionen der WHO
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verfolgt das Ziel, Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zu effektiven Gesundheitsdiensten zu ermöglichen. Sie sollen in die Planung und Umsetzung von Maßnahmen für gesundheitliche Notfälle einbezogen werden und Zugang zu intersektoralen Aktionen im Bereich der öffentlichen Gesundheit erhalten, um den höchstmöglichen Standard an Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.
Zur Verwirklichung dieser Zielsetzung bietet die WHO Beratung und Unterstützung für Mitgliedstaaten, um Menschen mit Behinderungen in die Steuerung und Planung des Gesundheitssystems zu integrieren. Sie erleichtert die Sammlung und Verbreitung von Daten und Informationen, die sich auf Behinderungen beziehen. Des Weiteren entwickelt die Organisation normative Werkzeuge, einschließlich Richtlinien, die die Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Gesundheitswesen stärken. Die WHO arbeitet daran, die Fähigkeiten von Gesundheitspolitikern und Dienstleistern zu erweitern. Sie fördert Strategien, die gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen über ihren Gesundheitszustand informiert sind und dass medizinisches Personal die Rechte und die Würde von Menschen mit Behinderungen unterstützt und schützt.
Die Organisation trägt zur Strategie der Vereinten Nationen für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen (UNDIS) bei, um nachhaltige und transformative Fortschritte in der Inklusion von Menschen mit Behinderungen in allen Arbeitsbereichen der Vereinten Nationen zu fördern. Zudem versorgt die WHO Mitgliedstaaten und Entwicklungspartner mit aktuellen Erkenntnissen, Analysen und Empfehlungen zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Gesundheitssektor.
Was ist die UNDIS-Strategie?
Die UNDIS-Strategie, ein zentraler Bestandteil der Bemühungen der Vereinten Nationen, zielt darauf ab, nachhaltige und transformative Fortschritte in der Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu fördern. Diese Strategie ist ein universeller Aufruf zum Handeln, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Arbeitsbereichen der Vereinten Nationen berücksichtigt werden. Sie steht im Einklang mit den Zielen der Vereinten Nationen, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und eine internationale Zusammenarbeit zu fördern, um Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen. Die UNDIS-Strategie unterstützt auch die Förderung und Festigung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion.
Die Strategie ist ein integraler Bestandteil der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die darauf abzielt, Armut zu beenden, den Planeten zu schützen und Wohlstand für alle zu gewährleisten. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) sind ein wesentlicher Rahmen für die UNDIS-Strategie, da sie einen inklusiven Ansatz verfolgen, der sicherstellt, dass niemand zurückgelassen wird. Insbesondere das Ziel 10, das auf die Verringerung von Ungleichheiten innerhalb von und zwischen Ländern abzielt, ist eng mit der UNDIS-Strategie verbunden.
Die Anerkennung
Die Vereinten Nationen erkennen an, dass Menschen mit Behinderungen auf globaler Ebene mit einzigartigen Herausforderungen konfrontiert sind, die ihre volle und gleichberechtigte Teilnahme an der Gesellschaft behindern. Daher ist die UNDIS-Strategie darauf ausgerichtet, Barrieren abzubauen und integrative Politiken und Programme zu fördern, die die Rechte und Würde von Menschen mit Behinderungen respektieren und schützen. Dies umfasst Maßnahmen in verschiedenen Bereichen wie Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsversorgung, Zugänglichkeit und rechtliche Gleichstellung.
Die Umsetzung der UNDIS-Strategie erfordert die Zusammenarbeit und das Engagement aller Mitgliedstaaten sowie der Zivilgesellschaft, um inklusive Gesellschaften zu schaffen, in denen Menschen mit Behinderungen aktiv und sinnvoll teilnehmen können. Die Strategie betont auch die Bedeutung von Daten und Forschung, um die Situation von Menschen mit Behinderungen besser zu verstehen und evidenzbasierte Politiken zu entwickeln.
Insgesamt ist die UNDIS-Strategie ein ambitioniertes Unterfangen, das darauf abzielt, die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen weltweit zu verbessern und eine inklusivere und gerechtere Welt zu schaffen. Es ist ein Aufruf zum Handeln für alle Akteure auf internationaler Ebene, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen nicht nur als Empfänger von Hilfe, sondern als aktive Mitgestalter ihrer eigenen Zukunft und der Zukunft der Gesellschaft als Ganzes betrachtet werden.
Fußnoten
- Brennan, CS, Behindertenrechte während der Pandemie: Ein globaler Bericht über die Ergebnisse des COVID-19 Disability Rights Monitor . 2020, COVID-19 Disability Rights Monitor. ↩︎
- Williamson, EJ, et al., Risiken einer COVID-19-Krankenhauseinweisung und eines Todesfalls für Menschen mit Lernbehinderung: bevölkerungsbasierte Kohortenstudie unter Verwendung der OpenSAFELY-Plattform. BMJ, 2021. 374: S. n1592. ↩︎
- Baksh, RA, et al., Ungleichheiten bei COVID-19-Ergebnissen nach Krankenhauseinweisung für Menschen mit geistiger Behinderung im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung verstehen: eine gematchte Kohortenstudie im Vereinigten Königreich. BMJ Open, 2021. 11(10): S. e052482. ↩︎
- Dunkle, K. et al., Behinderung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen . 2018, UKaid: London ↩︎
Titelbild: In Mexiko, Procession Fiesta de la Santa Cruz Queretaro Mexico 2, CC BY-SA 4.0