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Armes Deutschland: Wenn Einbürgerung für Menschen mit Behinderungen erschwert wird

Lesedauer 5 Minuten

Das neue Staatsangehörigkeitsrecht steht in der Kritik, da es Menschen mit Behinderungen benachteiligt. Diese Situation wirft Fragen auf: Wie ist eine solche Gesetzgebung möglich geworden? Es scheint, als hätte der Gesetzgebungsprozess die Bedürfnisse und Rechte dieser Personengruppe übersehen oder nicht ausreichend berücksichtigt. Eine solche Entwicklung ist besorgniserregend, denn sie könnte darauf hindeuten, dass bei der Formulierung von Gesetzen nicht alle Bürger gleich behandelt werden. Dies untergräbt das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz und fordert eine kritische Überprüfung und Anpassung der aktuellen Vorschriften.

Unsere inklusive Meinung

Von Frank Schurgast und Julia Maiano

Bremen, 28.08.2024 – Im frühen Dezember 2023 wurde vor dem Bundestag eine symbolische „Nicht-Einbürgerungszeremonie“ abgehalten. Verschiedene Verbände, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen stark machen, äußerten ihre Besorgnis: Sie befürchteten, dass das zu jener Zeit diskutierte neue Staatsangehörigkeitsgesetz diese Menschen bei der Einbürgerung benachteiligen könnte. Ihr Appell lautete, diese Bevölkerungsgruppe in der anstehenden Gesetzesnovelle nicht außer Acht zu lassen.

Am 27. Juni 2024 trat schließlich das neue Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft, und es bestätigten sich die Befürchtungen der Organisationen. Die Bestimmungen sehen vor, dass eine Einbürgerung nur möglich ist, wenn die Person – neben anderen Kriterien – ihren Lebensunterhalt eigenständig bestreiten kann. Früher gab es eine Ausnahmeregelung für Personen, die für ihre Lage nicht selbst verantwortlich waren. Diese Regelung war insbesondere für pflegende Angehörige und Menschen mit Behinderungen von Bedeutung. Mit der neuen Gesetzgebung entfällt diese Ausnahme.

Sophia Eckert, Vertreterin des Vereins „Handicap International“, sieht die Sachlage deutlich. In einem Stern-Interview sagte sie: „Das neue Gesetz stellt Menschen mit Behinderung entgegen verfassungs- und völkerrechtlicher Vorgaben schlechter.“ Betroffene sind nun gezwungen, einen Antrag auf Härtefallregelung zu stellen. Dieser Weg garantiert jedoch keinen Anspruch auf Einbürgerung, sondern überlässt die Entscheidung dem Ermessen der jeweiligen lokalen Behörde. „Das ist keine Gleichbehandlung von Menschen mit und ohne Behinderung“, moniert Eckert im selben Interview.

Jürgen Dusel stützt die Kritik

Die erhobenen Vorwürfe sind gravierend, doch sie lassen sich nicht einfach zurückweisen. Selbst der Beauftragte der Bundesregierung für die Angelegenheiten von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, hat sich in einem Interview mit dem Stern in ähnlicher Weise geäußert. Es stellt sich die Frage, wie es zu dieser Benachteiligung kommen konnte.

Die Streichung genau dieses Halbsatzes im neuen Staatsangehörigkeitsrecht bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen, egal ob sie aufgrund ihrer Behinderung gar nicht oder nur Teilzeit arbeiten können oder deshalb vielleicht ‚Aufstocker‘ sind, keinen Anspruch mehr auf Einbürgerung haben.
Jürgen Dusel, Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen – Zu: Bislang gabe es eine Ausnahme bei der Einbürgerung: Wer dafür nicht selbst verantwortlich ist, konnte trotzdem den deutschen Pass bekommen. Diese Ausnahme, die neben für Menschen mit Behinderung etwa auch für pflegende Angehörige wichtig ist, wurde auf Drängen der FDP gestrichen.

Es ist nicht so, dass Menschen mit Behinderungen schlichtweg „vergessen“ wurden, wie es von einigen Organisationen im Dezember dargestellt wurde. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, vertritt zumindest die Ansicht, dass dieser Punkt während der Gesetzesverhandlungen intensiv erörtert wurde, wie er gegenüber dem Stern erklärte. Dies geschah wohl auch deshalb, weil Fachleute bereits zu jenem Zeitpunkt Bedenken gegenüber der Neuregelung äußerten. Bei einer Anhörung des Innenausschusses im Dezember brachte beispielsweise die Juristin Sina Fontana von der Universität Augsburg zum Ausdruck, dass die Verschärfung der Lebensunterhaltsregelungen verfassungsrechtlich bedenklich sei.

Ausreden und innerkoaltionäre Schuldzuweisungen

Die politische Diskussion um die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts offenbart tiefe Gräben zwischen den Koalitionspartnern. Die Grünen machen ihre Partner in der Ampelkoalition, die SPD und die FDP, für das Scheitern einer Regelung verantwortlich, die sie favorisiert hatten. Filiz Polat, eine Expertin der Grünen für Migrationsfragen, äußerte sich kritisch gegenüber dem stern und betonte, dass die Streichung der Regelung unter dem Druck der Koalitionspartner erfolgte. Sie warnt davor, dass die Änderungen im Gesetz dazu führen könnten, dass die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft zunehmend von der wirtschaftlichen Integration abhängig gemacht wird. Dies könnte insbesondere Rentner, kranke oder behinderte Menschen sowie Alleinerziehende benachteiligen, die aufgrund von Kinderbetreuungspflichten nicht voll erwerbstätig sein können.

SPD lehnt Schuldzuweisungen ab und die FDP fröhnt dem Ableismus

Die SPD hingegen lehnt die Schuldzuweisungen ab. Wiese, erklärte, dass sich die Fraktion für weitere Ausnahmen bei der Anspruchseinbürgerung eingesetzt habe, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, Alleinerziehende und Studierende. Jedoch sei dies innerhalb der Koalition nicht umsetzbar gewesen, was indirekt auf Widerstand der FDP hindeutet.

Die FDP scheint besonders mit der Idee der Doppelstaatsbürgerschaft zu kämpfen, also der Möglichkeit, neben der deutschen auch eine ausländische Staatsangehörigkeit beizubehalten. Im Gegenzug hat sie darauf bestanden, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als entscheidendes Kriterium für die Einbürgerung festzulegen. Diese Positionierung könnte als Versuch gesehen werden, die Einbürgerung an wirtschaftliche Erfolge zu knüpfen und somit einen bestimmten Personenkreis von der Staatsbürgerschaft auszuschließen. Die Debatte zeigt, wie komplex und emotional die Themen Migration und Staatsangehörigkeit in der politischen Landschaft Deutschlands sind und wie schwierig es ist, einen Konsens zwischen den unterschiedlichen politischen Visionen und sozialen Realitäten zu finden.

Die diskriminierende Haltung der FDP

Justizminister Marco Buschmann vertrat in einem Interview mit der „Welt“ eine deutliche Position. Er erklärte, dass Deutschland den Einbürgerungsprozess für Personen vereinfachen werde, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Der FDP-Politiker betonte, dass Personen, die Sozialleistungen wie Bürgergeld oder Grundsicherung erhalten, normalerweise nicht für eine Einbürgerung in Betracht kommen. Diese Aussage spiegelt einen Trend wider, der sich in der aktuellen politischen Landschaft abzeichnet. Die Regierungskoalition, oft als „Ampel“ bezeichnet, steht sowohl in der Migrationspolitik als auch in der Sozialpolitik unter Druck. Angesichts einer angespannten Haushaltslage und schwierigen Arbeitsmarktsituation rückt das Thema Migration zunehmend in den Fokus der Wählerschaft. Der Bundeskanzler hat angekündigt, das Bürgergeldsystem zu optimieren und die Strafen für Schwarzarbeit zu verschärfen. Darüber hinaus plant die Bundesregierung, die Abschiebung von Ausländern, die terroristische Handlungen befürworten, zu beschleunigen. Die FDP schlägt vor, das Bürgergeld für ukrainische Flüchtlinge zu streichen.

Sophia Eckert von „Handicap International“ äußert Bedenken hinsichtlich dieser Entwicklungen und der spezifischen Verschärfungen im Staatsbürgerschaftsrecht. Sie warnt, dass die Politik ein gefährliches Signal aussendet, indem sie Staatsbürgerschaften nur an voll erwerbsfähige Personen vergibt. Dies geschieht ohne Berücksichtigung der Ursachen für eine etwaige eingeschränkte Erwerbsfähigkeit. Eckert kritisiert, dass die Regierungskoalition leichtfertig die Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen in Kauf nimmt. Sie betont, dass diese Gruppe ein Recht auf Gleichbehandlung und gesellschaftliche Teilhabe hat. Diese Entwicklungen sollten nach Eckerts Meinung Anlass zur Sorge geben und eine breite öffentliche Diskussion anregen.

Der Sieg der Rechtskonservativen und Faschisten zu Lasten von Menschen mit Behinderungen

Das neue Staatsangehörigkeitsrecht, ein Produkt langwieriger politischer Auseinandersetzungen, spiegelt letztlich nicht die klare Linie der Regierungskoalition wider. Die Koalitionspartner, anstatt proaktiv zu handeln, fanden sich in einer reaktiven Position wieder. Insbesondere sind die Einflüsse der CDU und CSU unverkennbar, deren rechtskonservative Haltung das Gesetz prägt. Ebenso ist die Furcht vor der öffentlichen Meinung nicht zu übersehen, die maßgeblich durch die AfD geschürt wird, welche die Regierung konsequent herausfordert.

Die SPD und die Grünen zeigen sich besorgt über die Positionierung der FDP, ihres Koalitionspartners, der bereits nach neuen politischen Konstellationen für die Zukunft sucht. Es ist allgemein bekannt, dass die FDP einen zumindest rechtskonservativen Kurs bevorzugt, was historisch gesehen nicht immer von Erfolg gekrönt war, wie die Ära unter Jürgen Möllemann zeigt.

Besonders betroffen von den Auswirkungen des neuen Gesetzes sind Menschen mit Behinderungen. Dies wirft Fragen auf in einem Land, das es bisher nicht geschafft hat, die UN-Behindertenrechtskonvention angemessen umzusetzen, trotz vorhandener Möglichkeiten. Diese Situation lässt tief blicken und wirft ein bezeichnendes Licht auf die sozialpolitische Landschaft Deutschlands.

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