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Als die Seele erfror: PTBS

Als die Seele erfror: PTBS

Von Frank Schurgast

Soldaten, die aus Kampfeinsätzen zurückkehren, leiden häufig unter Traumata. Im Ersten Weltkrieg wurden sie als „Kriegszitterer“ bezeichnet, ein Ausdruck, der Weichheit, Schwäche und Hysterie implizierte. Heute hat sich das Verständnis psychischer Erkrankungen wesentlich weiterentwickelt.

Wilhelm Schurgast, ein Soldat jener Zeit, war bei seiner Einlieferung ins St. Jürgen-Asyl in Bremen im Jahr 1916 noch immer desorientiert. Seine Schreckhaftigkeit äußerte sich in plötzlichen Zitteranfällen, ein deutliches Zeichen der durch den Krieg verursachten psychischen Belastung. Die damalige medizinische Terminologie beschrieb seinen Zustand als „Geisteskrankheit“.

Mein Ur-Großvater Wilhelm Schurgast

In den Aufzeichnungen seiner Krankenakte aus der Psychiatrie ist zu lesen: „Nach dem Angriff am 15. kam es zur Verschüttung. Wie lange ich unter den Trümmern lag? Es waren nur einige Minuten. Danach herrschte Chaos, wir rannten umher. Ich versuchte, mich zur vorderen Deckung durchzuschlagen. Auf dem Weg begegnete ich einem Verwundeten, den ich mitnahm. Als die Granaten einschlugen, hielt ich den Kopf meines Kameraden fest. Schließlich erreichte ich einen Graben, der voller Gefallener war, darunter auch Soldaten afrikanischer Herkunft. Ich irrte umher, bis ein Kamerad zu mir stieß und mich mitnahm. Danach verlor ich das Bewusstsein.“

Diese Worte stammen von Wilhelm Schurgast, meinem Ur-Großvater. Seine Erfahrungen spiegeln die brutale Realität des Krieges und die langfristigen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Soldaten wider.

In ihrem aufschlussreichen Werk „Krankheit: Krieg“ beleuchtet die Historikerin Maria Hermes-Wladarsch die seelischen Narben, die Kriege in den Herzen der Soldaten hinterlassen. Sie beschreibt, wie aus den Zeilen ihres Buches die Schrecken des Schlachtfelds lebendig werden, die tief in die Psyche der Kämpfenden einschneiden. Während des Ersten Weltkriegs wurden die betroffenen Soldaten als „Kriegszitterer“ oder „Kriegsschüttler“ bezeichnet, Begriffe, die ihre Leiden herabwürdigten und sie als schwach brandmarkten. Trotz des Widerstands einiger fortschrittlicher Ärzte in den 1920er Jahren setzte sich diese Stigmatisierung als „Hysteriker“ und „Drückeberger“ auch im Zweiten Weltkrieg fort. Der Vietnamkrieg jedoch brachte einen Wandel in der Wahrnehmung dieser Erkrankung. Was einst als Schwäche galt, wurde nun als ernstzunehmendes psychisches Leiden anerkannt. In der heutigen Zeit wird diese Erkrankung als Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS, bezeichnet.

Die Vergleiche von Verwundungen offenbaren oft, dass eine gequälte Seele schwerer wiegen kann als der Verlust von Gliedmaßen. Eine solche seelische Verletzung hält die Betroffenen in einem konstanten Zustand der Bedrängnis, der sie häufig ihr gesamtes Leben lang nicht loslässt.

Unbekanntes Problem

Der Erste Weltkrieg, oft als „Großer Krieg“ bezeichnet, markierte einen Wendepunkt in der Anerkennung von Traumafolgestörungen. Bereits während des Amerikanischen Bürgerkriegs wurden psychische Verletzungen dokumentiert, jedoch nur spärlich beachtet. Maria Hermes-Wladarsch, eine Expertin auf diesem Gebiet, weist darauf hin, dass aus dem Deutsch-Französischen Krieg lediglich 13 dokumentierte Fälle bekannt sind. Im Gegensatz dazu führte der Erste Weltkrieg im Deutschen Reich zu über 600.000 psychisch beeinträchtigten Soldaten, wobei die tatsächliche Zahl vermutlich höher liegt.

Die Erfahrungen der Soldaten, wie die des fiktiven Charakters Gereon Rath aus der Serie „Babylon Berlin“ und des realen Soldaten Willi Sch., waren prägend. Ärztliche Berichte über Willi Sch. besagen, dass er, obwohl unverletzt, in einem heftigen Gefecht den Überblick verlor und seitdem an einem „traumhaften, unzuverlässigen Gedächtnis“ leidet.

Dr. Peter Zimmermann, Oberstarzt und Leiter des Psycho-Traumazentrums am Bundeswehrkrankenhaus Berlin, erklärt, dass die Schützengräben des Ersten Weltkriegs eine besondere Herausforderung darstellten. Die Soldaten konnten nicht fliehen, selbst wenn sie von großer Angst ergriffen wurden. Dies führte zu körperlichen Reaktionen wie Zittern, ausgelöst durch den unterdrückten Fluchtinstinkt.

Zudem trugen neue Waffentechnologien wie Maschinengewehre und Giftgas zur Verstärkung der Angst bei. Deutsche Soldaten erhielten selten Fronturlaub, meist nur alle zwei Jahre, was kaum Gelegenheit zur Erholung bot. Für Willi Sch. begann die Traumatisierung vermutlich mit einem fünftägigen Dauerbeschuss. Diese historischen Ereignisse verdeutlichen die Notwendigkeit, psychische Gesundheit ernst zu nehmen und adäquate Unterstützung für Betroffene zu gewährleisten.

Zwei Weltkriege und keine Sensibilisierung

Die Verbindung zwischen Kriegserfahrungen und daraus resultierenden Erkrankungen wurde von der damaligen öffentlichen Meinung und der Mehrheit der Mediziner abgelehnt. Maria Hermes-Wladarsch, die für ihre Dissertation tausende Krankenakten analysierte, äußert sich zu der distanzierten Haltung der Ärzte: „Die emotionale Kälte, die aus den ärztlichen Berichten hervorgeht, ist beunruhigend. Häufig wurde nicht weiter untersucht, wie die Betroffenen mit ihrem Leid umgingen.“

Seit dem Ersten Weltkrieg gab es Ärzte, die innovative therapeutische Methoden erprobten. Der Neurologe Max Nonne aus Hamburg wandte beispielsweise Hypnose an, und auch Behandlungen mittels Elektrotherapie sind belegt. Laut der Historikerin Maria Hermes-Wladarsch zielten diese Behandlungen jedoch primär darauf ab, Soldaten schnellstmöglich wieder einsatzfähig zu machen. Die vorherrschende deutsche medizinische Lehrmeinung, die in Fachzeitschriften und auf Kongressen vertreten wurde, blieb engstirnig. Die Anerkennung eines kausalen Zusammenhangs zwischen Kriegserlebnissen und psychischen Störungen blieb die Ausnahme.

„Schwächliche Konstitution“ und „erbliche Belastung“ galten den Militärärzten oft als Ursachen für „traumatische Neurosen“ und „Hysterie“. Eine adäquate psychotherapeutische Versorgung blieb für die meisten Patienten aus. Maria Hermes-Wladarsch berichtet, dass auch bei Wilhelm Schurgast eine „vererbte schwächliche Konstitution“ diagnostiziert wurde. Zu jener Zeit nahmen Sozialdarwinismus und später die Rassenhygiene Einfluss auf die medizinische Lehre. Insbesondere einfachen Soldaten, im Gegensatz zu höhergestellten Offizieren, wurde eine gewisse Schwäche zugeschrieben.

Doch die Krankheit bleibt dieselbe

Während des Zweiten Weltkriegs manifestierten sich die Symptome kriegsbedingter Erkrankungen in vielfältiger Weise. Vor dem Krieg waren Zitteranfälle, temporäre Sehstörungen und Taubheit häufige Beschwerden. Im Verlauf des Krieges jedoch traten vorrangig gastrointestinale, kardiovaskuläre und psychosomatische Leiden in den Vordergrund. Die Wehrmacht reagierte auf diese Entwicklung mit der Bildung spezieller Einheiten, den sogenannten „Magen-Bataillonen“. Diese bestanden aus Soldaten, die unter psychosomatischen Beschwerden litten. Laut Dr. Zimmermann wurden diese Truppen meist abseits der Frontlinien eingesetzt. Für Piloten, die unter dem Stress des Krieges litten, wurden Ruhephasen eingerichtet. Dr. Maria Hermes-Wladarsch erwähnt, dass Soldaten mit Magenleiden oft als erste in den Kampf geschickt wurden, was auf eine Verwendung als „Kanonenfutter“ hindeutet.

Bemerkenswert ist die Beobachtung von Dr. Zimmermann, dass das Zittern als Symptom während der Schlacht um Stalingrad wiederkehrte. Dies wird auf die ausweglose Lage der Soldaten zurückgeführt, die zur Flucht gezwungen waren. Wilhelm Kollmann, der 1994 im Alter von 92 Jahren verstarb, ist ein Beispiel für einen Soldaten, bei dem sich der Krieg negativ auf die Gesundheit auswirkte. Als Pionier an der Front in Polen entwickelte er mehrere Magengeschwüre. Die Schmerzen zwangen ihn dazu, ärztliche Hilfe zu suchen. In seinen persönlichen Aufzeichnungen beschreibt Kollmann eine qualvolle Untersuchung, bei der ihm der Mageninhalt mittels eines dicken Gummischlauchs entnommen wurde. Dieser Vorgang war so unangenehm, dass er reflexartig erbrach. Ein zufällig anwesender Divisionsarzt kommentierte dies abfällig, doch die Diagnose bestätigte Kollmanns ernsthafte Erkrankung und die Notwendigkeit einer Operation. Diese persönlichen Berichte verdeutlichen die physischen und psychischen Belastungen, denen Soldaten ausgesetzt waren, und die oft unzureichende medizinische Versorgung und das mangelnde Verständnis für ihre Leiden.

In dem Text manifestiert sich ein beträchtlicher Rechtfertigungsdruck. Der Autor fährt fort und teilt mit, dass sein Magenleiden bald wieder auftrat. Infolgedessen wurde er letztendlich aus dem Kriegsdienst entlassen, da er als nicht einsatzfähig galt. Diese Entlassung erwies sich als lebensrettend, denn seine Einheit wurde kurz darauf vollständig dezimiert; es gab keine Überlebenden.

Alles auf Anfang: Der Vietnam-Krieg

Der Vietnamkrieg markierte eine entscheidende Wende in der medizinischen Geschichte. Erstmals trat die psychische Belastung von Kriegsveteranen deutlich zutage. Viele der damaligen Soldaten, die den Schrecken des Krieges miterlebt hatten, finden sich noch heute in prekären Lebensumständen wieder. Sie sind oft obdachlos, da sie mit den Nachwirkungen ihrer Erlebnisse zu kämpfen haben. In jener Zeit wurde das Leiden der Soldaten als „Kampfstress“ bezeichnet.

Die Psychiatrie begann, sich intensiver mit den wiederkehrenden Merkmalen bei den betroffenen Soldaten zu beschäftigen. Die festgestellten Symptome der Vietnam-Veteranen weisen Parallelen zum heutigen Verständnis der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) auf. Dazu zählen Schlafprobleme, Albträume, tiefe Traurigkeit, depressive Verstimmungen, Aggressivität, sowohl gegen sich selbst als auch gegen andere, Flashbacks, Suchtverhalten und suizidale Gedanken. Die Bewältigung dieser Störung stellt für die Betroffenen eine lebenslange Herausforderung dar.

Die Wahrnehmung posttraumatischer Erkrankungen hat sich seitdem grundlegend gewandelt. Der amerikanische Psychiater Frank Ochberg war einer der Mediziner, die maßgeblich an der Definition und Klassifizierung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) beteiligt waren. Sie erkannten PTSD als eine ernsthafte Folgeerkrankung von traumatischen Erlebnissen. Seit dem Jahr 1980 ist diese Erkrankung offiziell anerkannt. Für die Anerkennung setzten sich nicht nur Wissenschaftler ein, sondern auch eine Allianz aus Frauenrechtlerinnen und Kriegsveteranen. Diese Gruppen kämpften offen für die Anerkennung und Behandlung der Störung.

Der signifikante Wandel manifestierte sich darin, dass Individuen begannen, offener über ihre psychischen Belastungen zu kommunizieren. Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) wurde zunehmend als eine ernsthafte Verletzung anerkannt, nicht länger als Zeichen von Schwäche betrachtet. Diese Perspektive teilte auch Ochberg. Parallel dazu vollzog sich ein grundlegender Wandel in den therapeutischen Ansätzen. Innovative Trauma-Therapien, insbesondere Konfrontationstherapien, wurden entwickelt. Diese zielen darauf ab, traumatische Erlebnisse erneut zu durchleben, um sie in einem neuen Kontext zu verarbeiten und zu speichern. Dieser Prozess ist vergleichbar mit der Defragmentierung einer Computerfestplatte, bei der fragmentierte Daten neu geordnet werden. Zusätzlich etablierte sich der Einsatz von Antidepressiva als eine Standardkomponente der Behandlung. Diese Medikamente unterstützen die Stabilisierung der Stimmung und können somit den Therapieerfolg maßgeblich fördern.

PTBS heute

Die Bundeswehr schätzt, dass ungefähr drei Prozent der Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz waren, mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nach Deutschland zurückkehren. In den Vereinigten Staaten wird die Anzahl der betroffenen Soldaten von Fachleuten als wesentlich höher eingeschätzt. Während die Behandlung der Soldaten heutzutage auf einem soliden Fundament steht, mangelt es oft an Unterstützungsangeboten für deren Familien. Patricia Leck, eine Frau aus Hessen, die mit einem Veteranen des Einsatzes liiert ist, kritisiert die Situation. Ihrer Meinung nach ist es notwendig, sich eigenständig um Hilfe zu bemühen, da die Familien gleichsam mit erkranken. Durch ihren persönlichen Einsatz konnte sie erreichen, dass sie und ihr Partner an einer Pferdetherapie teilnehmen konnten. Diese hat, laut ihrer Aussage, effektiver gewirkt als andere therapeutische Ansätze. Trotz dieser Fortschritte bleibt das Stigma der Kriegstraumata bestehen. Innerhalb der Truppe werden Betroffene teilweise noch als schwach oder gar als Drückeberger wahrgenommen. Es zeigt sich, dass sich seit den Zeiten der Weltkriege nicht alle Einstellungen verändert haben.